Siegestrunken im Reich der Paviane

Pünktlich zum Verfassungsreferendum in der Demokratischen Republik Kongo verstärkt die neue Armee des Landes im Osten den Kampf gegen irreguläre ruandische Milizen. Doch nicht diese sind die Leidtragenden, sondern die Zivilbevölkerung

AUS RUTSHURUDOMINIC JOHNSON

An einer Straßenbiegung versperrt eine Patrouille den Weg. Ein großer Pavian, mehrere kleinere und eine Pavianmutter mit Baby spazieren langsam über die löchrige Teerstraße und geben erst nach langer kritischer Inspektion den Weg frei. „Das zeigt, dass jetzt mehr Frieden herrscht“, freut sich der Fahrer. „Früher haben die Affen sich versteckt, um nicht gejagt und gegessen zu werden.“

Der Virunga-Nationalpark im Osten der Demokratischen Republik Kongo, der sich nördlich der Provinzhauptstadt Goma einige hundert Kilometer lang durch die Provinz Nord-Kivu erstreckt, war jahrelang Basis flüchtiger ruandischer Hutu-Milizen. Aus den dichten Bergwäldern heraus machten sie die umliegenden Regionen unsicher, aßen die Wildtiere auf und überfielen Transporte auf den Überlandstraßen. Von Ruandas Armee jahrelang bekämpft, verstärkten sie ihre Positionen nach Ruandas Abzug vor drei Jahren erneut. Seit Ende Oktober aber führt Kongos im Aufbau befindliche neue nationale Armee FARDC (Streitkräfte der Demokratischen Republik Kongo) gegen sie eine Offensive im Park.

Nun halten entlang der von mannshohem Gebüsch gesäumten Straße von Goma nach Norden kongolesische Regierungstruppen mit Gewehren und Funkgeräten die Stellung. Die Wirksamkeit ihrer Tarnuniformen wird zunichte gemacht, wenn es regnet, weil die Soldaten dann kunterbunte Schirme aufspannen. Aber ihr Kampf geht weiter. In Rutshuru am östlichen Rand des Parks sammeln sich Militärs mit schweren Waffen und Säcken voller Maismehl und Bohnen auf klapprigen Lastwagen. Sie brechen zu neuen Kämpfen auf, um den Ort Rwindi, erklärt der kommandierende Oberst Jean-Marie Kasikela. Er schwitzt und strahlt.

Ohne Unterstützung durch die Kampfhubschrauber der UN-Mission im Kongo (Monuc) wäre diese Offensive sowie andere gegen Milizen in Katanga und Ituri nicht möglich, denn Kongos Armee hat keine Hubschrauber. Aber bei der Monuc sind einige darüber nicht glücklich. Denn am kommenden Sonntag sind Kongos Bürger zu einem Verfassungsreferendum aufgerufen – Auftakt zu den ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit 1960. Massive Fluchtbewegungen überschatten nun das historische Ereignis.

Denn die ruandischen Hutu-Milizen sind aus dem Virunga-Nationalpark einfach tiefer in den Kongo hinein geflohen – vor allem in den dicht besiedelten Distrikt Lubero. Mitarbeiter der UN-Koordinierungsstelle für humanitäre Hilfe in Goma nennen die neuesten Flüchtlingszahlen: 919 Familien aus Nyamilima, 1.300 aus Miriki, 480 aus Nyakukuru, 1.500 aus Kitsombiro. Durchschnittlich hat eine Familie fünf bis sechs Angehörige. Man geht insgesamt von bis zu 45.000 neuen Flüchtlingen aus. Die genaue Situation wollen UN-Helfer dieser Tage feststellen.

Es trägt nicht zur Stabilität bei, kurz vor einem historischen Wahlgang irreguläre Milizen aus unbewohnten in bewohnte Gebiete zu treiben. Schwächer sind die Hutu-Milizen, die sich als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) bezeichnen, dadurch keineswegs geworden. Auch das UN-Ziel, dass mehr von ihnen die Waffen strecken und sich nach Ruanda repatriieren lassen, wurde verfehlt. Nach UN-Angaben aus Goma stagniert die Zahl der Repatriierungen bei 30 bis 40 pro Woche. Es gab einen Fall, in dem Milizionäre erst kongolesische Händler ausraubten und sich dann mit dem Diebesgut unter UN-Schutz nach Ruanda bringen ließen.

Die Monuc betont, dass es nicht darum ginge, die FDLR noch vor den Wahlen im Kongo militärisch zu zerschlagen. Ein UN-Analyst in Goma sagt: „Die Operationen dienen nicht dazu, die FDLR im Kampf zu besiegen, sondern ihnen zu zeigen, dass sie illegal da sind.“ Auch die Vollstreckung der bestehenden Haftbefehle und der UN-Sanktionen gegen die FDLR-Führung sei „nicht unser Mandat“.

Für Kongos Armee ist die bedingungslose militärische Unterstützung durch die UN-Mission jedoch ein Freibrief. Übergriffe unbezahlter und undisziplinierter FARDC-Soldaten gegen die Zivilbevölkerung nehmen nach UN-Angaben stark zu.

Bei der Fünften Brigade der FARDC in Rutshuru gibt es heute Fleisch. Blutige Klumpen werden mit Äxten auf einem schmutzigen Steinblock zerhauen und von Frauen in die Ruinen getragen, in denen die Soldatenfamilien wohnen. Auf einem Lastwagen, der am Spätnachmittag Richtung Kaserne rollt, stehen schwankende Soldaten, davon einige auffallend jung, mit Flaschen des berüchtigten lokalen Bananenschnapses. In ihrer Mitte, von zwei Älteren hautnah bewacht, hockt eine junge Frau im grünen Kleid, mit niedergeschlagenem Blick und verzweifelter Miene, so als wüsste sie genau, was ihr noch bevorsteht.