Zeitgenössische Ängste

Der Kurator Nicolaus Schafhausen wechselt vom Frankfurter Kunstverein ans Rotterdamer Witte de With. Die letzte Schau unter seiner Leitung, „Parallele Welten“, blickte nach Korea

von HORTENSE PISANO

„Meiner Meinung nach hat der Betrachter nie Recht, wenn er ein Werk nicht versteht. An der Stelle beginnt unsere kuratorische Vermittlungsleistung.“ Nicolaus Schafhausen, seit 1999 Leiter des Frankfurter Kunstvereins, tritt zum Jahreswechsel Catherine Davids Nachfolge am Witte de With in Rotterdam an. Auf die Frage, wie zeitgenössische Ausstellungen heute den Rezipienten berücksichtigen können, ohne populistisch zu sein, antwortete er ohne zu zögern.

Es gibt aber auch Werke, die sich einem schlicht sperrig in den Weg legen. Gäbe es kein Schild, man hätte den Betonstreifen in der gerade zu Ende gegangenen Kunstvereins-Schau „Paralleles Leben“ gut für eine Umbauarbeit halten können. Ein auf seine Maße reduzierter Betonklotz reichte von der Wand bis zur Raummitte. Wer nicht aufpasste, stolperte über den Stein, passierte ungeahnt eine symbolische Grenze. „Souvenir“ nennt Peter Friedl sein unscheinbares Mahnmal – zur Erinnerung an den 1953 zwischen Nord- und Südkorea errichteten Grenzstreifen in dem Ort Panmunjom. Wenige Meter von Friedls abstrahiertem Zeichen entfernt schickte Sean Snyders Videoinstallation Bilder aus der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang in die Ausstellung. Snyder musste größtenteils auf offizielles Filmmaterial zurückgreifen. Denn auch rund 50 Jahre nach der Teilung Koreas verschließt sich der kommunistische Norden jeder Kommunikation.

„Paralleles Leben“ im Frankfurter Kunstverein arbeitete explizit mit der Lücke an Information. Die Kuratoren Kim Sung Won, Vanessa Joan Müller und Nicolaus Schafhausen hatten junge Künstler aus dem westlich geprägten Südkorea eingeladen. Gleichzeitig blickten Künstler aus Deutschland, Dänemark oder den USA gen Fernost. Weder der Blick von außen auf Korea noch der von innen kann die Vielschichtigkeit des Aufbruchs wiedergeben.

Doch weshalb erfuhr man nichts über die kulturellen Differenzen im Land, wurden stattdessen Parallelen zum Westen aufgetan? „Uns ging es um die Frage, existiert eine spezifisch nationale Identität in der Kunstproduktion im Verhältnis zur internationalen Kunst. Aber auch inwieweit der Turbokapitalismus Südkoreas den Westen längst überholt hat. Die internationale Schau funktioniert gut als eine Metapher. Wer etwa in Ahn Kyu Chuls Apartment steht, beginnt sich Gedanken über das Land zu machen.“ Keinen Schlusspunkt habe er mit „Paralleles Leben“ setzen wollen, so der scheidende Kunstvereins-Leiter.

Klammert man die „deutschemalerei2003“-Präsentation aus, die von den Besucherzahlen die erfolgreichste war, gab es dann rückblickend eine zentrale Kunstvereins-Schau? Eine Lieblingsausstellung habe er nicht, sagt Schafhausen, der sein Programm als Gesamtkonzept sieht: „Beginnend mit der ersten Performance- und Theoriereihe hier im Haus, die ‚Benutzeroberfläche Stadt‘ hieß. Die damals formulierten Ziele sehe ich heute als eingelöst: Der Frankfurter Kunstverein hat sich in der Stadt als einzigartige, im weiteren Sinne gesellschaftspolitisch handelnde Institution etabliert. Diese Unterscheidung gegenüber anderen kulturellen Angeboten wird von den Mitgliedern und den Besuchern national als auch international sehr geschätzt.“ Gab es dennoch einen Moment, an dem er ans Aufhören dachte? „Doch, den Moment gab es. Als Leiter des Kunstvereins sind Sie ja nicht nur Kurator, sondern auch für den Ausstellungsetat verantwortlich. 400.000 und 500.000 Euro müssen wir jährlich akquirieren, um den Ausstellungsbetrieb zu sichern – das ist im Verhältnis zum Vorhandenen viel Geld.“ Trotz finanzieller Engpässe möchte seine Nachfolgerin, Chus Martinez, den Kunstverein in einen Aktionsraum verwandeln. Sie setzt damit dort an, wo auch Schafhausen begonnen hat. „Das macht Sinn. Wenn Chus Martinez den Schwerpunkt grundsätzlich anders setzt, kann dies sehr gut funktionieren.“

Erst am Abend zuvor hatte sich Schafhausen bis frühmorgens mit einer „Farewell-Party“ im Frankfurter Kunstverein verabschiedet. Heute sitzt er frisch und entspannt im Designersessel des Cafés. Dem Haus hat er in sieben Jahren ein neues Label verpasst. Jetzt freut den Kurator vor allem eins – die Zukunft. Das mag auch daran liegen, dass ihm am Witte de With ein vom Land bewilligtes Budget zur Verfügung steht. Und während die Zukunft der European Kunsthalle in Köln – deren Aufbau Schafhausen von Rotterdam aus lenken will – derzeit ungewiss ist, kann der neue Direktor am Witte de With ans globale Programm seiner Vorgängerin anknüpfen. Daher stellt sich die Frage, wie wichtig das Thema Migration künftig für ihn sein wird. „Migration zu thematisieren ist für Ausstellungen mit und zur Gegenwartskunst immer wichtig und immanenter Bestandteil. Für mich hat Migration etwas mit den gegenwärtigen Ängsten zu tun. Die aktuelle Entwicklung in Frankreich spricht hier für sich.“ Auf Rotterdam bezogen heißt das, so Schafhausen: „Die Stadt ist immer die Matrix kuratorischen Handelns: Über 50 Prozent der Bevölkerung sind so genannte ‚Allochtone‘, also Migranten der ersten drei Generationen – hiervon sind rund zwei Drittel muslimischer Herkunft. Als Kurator muss man sich die Frage stellen, für wen man Ausstellungen konzipiert – auch für die heterogenen Bevölkerungsschichten oder nicht? Ich arbeite zurzeit an der neuen programmatischen Ausrichtung und bin produktiv aufgeregt.“ Hat die erste Ausstellung schon einen Namen? Schafhausen zögert zunächst: „Nein. Mein Programm fängt im Frühsommer 2006 an. Die zeitgenössischen Ängste werden aber mit Sicherheit auch Thema sein“ – dann ist er mit einem Sprung bereits auf dem Weg nach Rotterdam.