Ein Leben für die Orthographie

Seit acht Jahren kämpft die Oldenburger Schülerin Josephine Ahrens, 16, gegen die Rechtschreibreform. Kürzlich errang sie einen Etappensieg vor Gericht – und fürchtet doch, dass die landesweit verbindliche Entscheidung ausgesessen wird

Auch wenn ihre Klage scheitert, will sich die 16-Jährige weiter gegen die Reform wehren: „Das Thema ist eine Sache unter Erwachsenen und das ist falsch“

von Manuela Sies

Heute telefoniert Josephine Ahrens mal nicht mit ihrem Anwalt. Die 16-Jährige sitzt ganz entspannt auf ihrem Bett und zeigt ihre Fotosammlung von der Band Die Ärzte. Josephine ist ein eingefleischter Fan. Ihre Regale sind gefüllt mit Büchern und DVDs. Und ein Blick zeigt: Josephine mag Gruselgeschichten.

Wenn sie nicht gerade Musik höre, treffe sie sich mit Freunden oder spiele Theater, erzählt sie. Oder sie telefoniere mit ihrem Anwalt. Denn er hilft ihr, dass sie Zucker mit zwei K trennen darf. Nicht Zu-cker, sondern Zuk-ker – das brachte vor etlichen Jahren Josephines Kampf gegen die Rechtschreibreform in‘s Rollen. Damals war sie in der dritten Klasse und bekam wegen des „Zuk-kers“ eine schlechtere Note in einem Diktat. Seitdem hat sie zusammen mit ihren Eltern diverse Klagen vor Gericht angestrengt. Ihr Ziel: Sie will die Reformvorhaben kippen und weiter die alte Rechtschreibung benutzen.

Vertreten wird sie dabei vor Gericht von Rolf Gröschner, Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Jena. Gröschner hat auch 1998 die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Reform geführt. Der Ansatz damals: Eine Reform könne nicht ohne parlamentarische Zustimmung durchgesetzt werden, sonst sei sie verfassungswidrig. Die Richter sahen das anders und erlaubten die Einführung durch die Kultusminister. Ihre Begründung: „Die Grundrechte von Eltern und Schülern werden nicht verletzt.“

Der Klagegrund im Fall Josephine aber sei ein anderer, erklärt Gröschner. Jetzt kämpften er und seine Mandantin dagegen, dass Schüler für die korrekte Anwendung der alten Schreibweise bestraft werden. Vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg wollen sie durchsetzen, dass in der Schule alte und neue Rechtschreibung gelten. „Wenn ein gebildeter Schüler sich ‚numerieren‘ noch aus dem Lateinischen ableiten kann und das Wort deshalb mit einem ‚m‘ schreibt, sollte er dafür nicht bestraft werden“, sagt der Professor.

Zumindest teilweise hatte die Klage von Josephine Ahrens Ende September Erfolg: Die Lüneburger Richter bescheinigten ihr, dass in ihren Schularbeiten die „herkömmliche Rechtschreibung“ weder beanstandet noch als falsch gewertet werden dürfe. Außerdem habe sie Anspruch darauf, „in der Rechtschreibung unterrichtet zu werden, die in der Gesellschaft allgemein praktiziert wird“. Das treffe auf die Reform aber nicht zu. Entscheidend dabei: Das Urteil gilt erstmal nur für Josephine, die verbindliche Entscheidung, das Urteil für ganz Niedersachsen auszusprechen, steht noch aus. Ferner verzichteten die Richter darauf, eine einstweilige Anordnung an das Kultusministerium zur sofortigen Durchsetzung von Josephines Interessen zu erteilen.

Das Kultusministerium müsse also gar nichts unternehmen, sagt dementsprechend Ministeriumssprecher Georg Wessling. Man will warten, bis das Gericht die Hauptsache verhandelt. Bei der geht es dann nicht mehr nur um Josephine, sondern um eine verbindliche Regelung für ganz Niedersachsen.

Für Josephine „zieht sich das Ministerium aus der Affäre“. Sie wirkt nicht etwa eingeschüchtert angesichts der Reaktion, sondern verärgert: „Das machen die doch immer so. Die wollen doch nur Gras über die Sache wachsen lassen.“ Auch, dass kein Urteil für ganz Niedersachsen ausgesprochen wurde, macht Josephine misstrauisch: Die Richter wollen ihrer Meinung nach das heiße Eisen Rechtschreibung nicht anfassen. Bis sich das Gericht erneut mit der Rechtschreibreform befasst, könnten Jahre vergehen. Es ist wahrscheinlich, dass es kein Urteil geben wird, bevor Josephine ihren Schulabschluss hat. Ihre Klage würde hinfällig, wenn sie keine Schülerin mehr ist, weil dann der Klagegrund entfallen wäre. Anwalt Rolf Gröschner hingegen bleibt optimistisch: „Ich werde die Richter zu einer Entscheidung für die alte Schreibung bewegen.“ Mit Hilfe von öffentlichem Druck will er einen frühen Termin erzwingen.

„Manchmal habe ich schon keine Lust mehr, mich mit dem Thema zu beschäftigen“, sagt die 16-Jährige und streichelt ihre Katze. „Aber dann denke ich an alle, die später diesen Unsinn lernen müssen.“ Dabei hatte sogar Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) die verbindliche Einführung der Reform zum 1. August 2005 abgelehnt, lenkte aber schlussendlich doch ein. Nur Bayern und Nordrhein-Westfalen widersetzen sich nach wie vor. Dort gelten noch die Übergangsregelungen. Für Gerhard Augst, Professor an der Universität Siegen und Befürworter der Reform, ist die neue Rechtschreibung nicht zu stoppen: „Orthografie unterliegt dem historischen Wandel. Es ist möglich, den ein bisschen zu bremsen. Mehr aber nicht.“

„Richtiges muss richtig bleiben“, setzt Rolf Gröschner dagegen und spricht seiner Mandantin damit aus dem Herzen. Josephine denkt nicht ans Aufgeben. Die zierliche Jugendliche hat eine gewisse Routine entwickelt, wenn sie über die „Materie“ spricht. Wie eine Erwachsene bezeichnet sie die Nachbesserungen des Rates für deutsche Rechtschreibung an der Reform als „Kuhhandel“. Der Vorsitzende des Rates, Hans Zehetmair (CSU), sieht hingegen den „Feinschliff“ auf dem besten Weg. Es seien nur noch kleine Änderungen zu machen. Bis zum Schuljahr 2006/2007 werde der Rat die letzten strittigen Regelungen beseitigt haben, sagte Zehetmair zur verbindlichen Einführung der neuen Schreibung am 1. August.

Josephine folgt einem Motto ihrer Lieblingsband: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es ist nur deine Schuld, dass sie so bleibt“, singen die Ärzte auf einer ihrer Platten. Vielleicht ist das der Grund, warum die Bilder von den drei Punkrockern fast jeden Zentimeter Wand über ihrem Bett bedecken. Josephine legt ihr Fotoalbum weg. Sie betont, der Kampf gegen die Reform habe nichts mit ihrem Privatleben zu tun. „Das gehört nicht zu meinem persönlichen Ich. Es hängt nur mit der Schule zusammen.“

Eine Freundin bestätigt das: Josephine betrachte das Thema sehr sachlich. „Dann spricht sie ganz anders als sonst“, sagt die 18-Jährige. Sie ziehe nicht ständig vor Gericht wegen der Aufmerksamkeit der Medien oder weil ihre Eltern damit angefangen hätten. „Sie macht das, weil es sie stört, und sie würde sich nie beeinflussen lassen.“

Auch wenn ihre Klage nicht durchkommt, will Josephine weiter kämpfen und Jugendliche über die Rechtschreibreform informieren. Etwa in Artikeln in Jugendzeitschriften. „Das Thema ist eine Sache unter Erwachsenen und das ist falsch“, findet sie. Und was, wenn ihr künftiger Arbeitgeber lieber „Stängel“ statt „Stengel“ liest? Josephine überlegt kurz, schürzt die Lippen: „Den versuche ich dann zu überzeugen.“ Und außerdem wolle sie ja sowieso zum Film. Da sei es nicht so wichtig, wie man schreibe.