„Wir brauchen mehr Lobbykontrolle“

Schröders Gasprom-Deal ist kein Einzelfall. Der Einfluss von Lobbyorganisationen auf die Politik hat zugenommen,sagt der Transparenz-Experte Ulrich Müller. Deshalb soll für Expolitiker eine zweijährige Karenzzeit gelten

taz: Herr Müller, darf Gerhard Schröder kurz nach seinem Abschied als Bundeskanzler Aufsichtsratsvorsitzender von Gasprom werden?

Ulrich Müller: Nein, für Politiker sollte generell eine Karenzzeit gelten, damit sie nicht direkt in den Lobbyismus oder zu Unternehmen wechseln, die von ihren Entscheidungen eindeutig profitiert haben. Das ist bei Gasprom offensichtlich der Fall.

Warum brauchen wir diese Karenzzeit?

Weil sich sonst einzelne Interessengruppen über das Einwerben ehemaliger Politiker unfaire Vorteile verschaffen. Und das können sich natürlich nur bestimmte Gruppen leisten – vor allem große Unternehmen. Sie gewinnen damit einen strategischen Vorteil, der das demokratische Verfahren aushebelt. Wenn etwa Gasprom deutsche Stadtwerke kaufen will, soll Schröder hier bestimmt helfen.

Müsste Schröder denn wenigstens offen legen, wie viel Geld er bekommt?

Ja. Wobei uns nicht so sehr interessiert, ob Schröder sich bereichert oder nicht. Wichtiger ist das asymmetrische Verhältnis zwischen verschiedenen Interessen, das durch diese Praxis entsteht.

Ist der Fall Schröder vergleichbar mit dem Fall Bangemann, der von der EU-Kommission zum spanischen Konzern Telefonica wechselte?

Ja, das ist vergleichbar. Die Amerikaner nennen es revolving door – also die Drehtür, die sich zwischen Politik und Wirtschaft hin- und herdreht. Es gibt noch einen anderen aktuellen Fall. Der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hat erst in der Arbeitsgruppe Verkehr den Koalitionsvertrag mit verhandelt. Anschließend gibt er bekannt, dass er in den Vorstand der Deutschen Bahn wechselt.

Seit Bangemann ist es EU-Politikern verboten, im ersten Jahr nach ihrem Abschied in die Wirtschaft zu wechseln. Ein Modell auch für Deutschland?

Wir hinken in Deutschland internationalen Entwicklungen hinterher. Es gibt Stimmen, die sagen, der Ruf nach neuen Gesetzen sei typisch deutsch. Das Gegenteil ist der Fall. In Amerika ist zum Beispiel sehr viel klarer geregelt, was erlaubt ist.

Von einem Kodex halten Sie nichts?

Ein Kodex ist immer die zweitbeste Lösung. Besser wäre eine gesetzliche Regelung, um die sich niemand herumwinden kann. Wir müssten eine Karenzzeit von zwei Jahren festschreiben. Das Gesetz sollte von einer unabhängigen Instanz kontrolliert werden. Dafür müsste eine neue Institution geschaffen werden, die auch die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten kontrollieren könnte. Das macht bisher der Bundestagspräsident.

Wechseln Politiker heute häufiger in die Wirtschaft, oder täuscht dieser Eindruck?

Es gibt eine verstärkte Tendenz von Expolitikern, vor allem für Lobby- und PR-Organisationen zu arbeiten. In der Berliner Szene ist der Einfluss von Lobbyorganisationen auch deutlich größer als noch in Bonn. Es gibt viele neue Akteure. Zum Beispiel entdecken immer mehr große Kanzleien dieses Gebiet. Dazu kommen die viele Denkfabriken und unzählige Reforminitiativen wie etwa der „Konvent für Deutschland“, die ein neoliberales Programm vertreten. Hinzu kommt noch eine größere Bereitschaft der Politik, sich von außen beraten zu lassen.

Wie ist das auf EU-Ebene?

In Brüssel ist die Situation noch verschärft. Hier gibt es nach amerikanischen Vorbild zahlreiche Tarnorganisationen wie zum Beispiel die „Campaign for Creativity“, die von Microsoft und SAP finanziert wird. Für ihre versteckte Finanzierung haben sie von uns gestern den „Worst Lobbying Award“ bekommen.

Aber werden in Deutschland an Politiker nicht Maßstäbe angelegt, die sonst niemand für sich gelten lässt?

Manchmal wird möglicherweise leichtfertig draufgeschlagen. Aber wichtig sind vor allem die strukturellen Fragen. Was bedeutet es, wenn finanzstarke Lobbygruppen Politiker für sich engagieren können? Diese Debatte müsste sachlicher, aber auch viel tiefgreifender geführt werden. Außerdem müssen wir immer schauen, wo Neues entsteht und wo bei der Einflussnahme von Interessengruppen Dinge aus dem Ruder laufen.

Gilt für Schröder als Altkanzler noch ein ganz besonderer Maßstab?

Das macht den Fall prominenter – und Schröders Verhalten ist dreist. Je weiter oben auf der Entscheidungsebene, desto brisanter sind diese Verflechtungen natürlich. Aber es geht nicht darum, nur zwei Wochen auf Schröder rumzuhacken, sondern durch die Debatte jetzt zu einer dauerhaften Lösung zu kommen.

INTERVIEW: JAN PFAFF