Die armen Länder vereinigen sich

Die 110 Entwicklungs- und Schwellenländer in der Welthandelsorganisation wollen sich künftig besser miteinander abstimmen und schwächen so die Verhandlungsposition Europas und der USA. Deren Vorschläge für mehr Handel sind ohnehin umstritten

AUS HONGKONGANDREAS ZUMACH

Die 110 Entwicklungs- und Schwellenländer in der Welthandelsorganisation (WTO) wollen gegenüber den Industriestaaten des Nordens künftig mit einer Stimme sprechen. Die bislang in fünf verschiedenen Gruppen organisierten Staaten haben am Freitag auf der WTO-Ministerkonferenz in Hongkong einen Schulterschluss vollzogen.

Die Staaten würden „für ihre gemeinsamen wie für die unterschiedlichen Interessen nur noch kollektive und keine individuellen Vorschläge mehr machen“, kündigte der brasilianische Außenminister Celso Amorin an. Durch den Zusammenschluss wollten die Länder dafür sorgen, dass in dieser Verhandlungsrunde, wie zu ihrem Auftakt in Doha im Jahr 2001 vereinbart, „tatsächlich Entwicklungsbelange im Zentrum stehen“, sagte Amorin.

In einer gemeinsamen Erklärung fordern die 110 Länder die Industriestaaten auf, ihre Agrarexportsubventionen „bis 2010 vollständig abzubauen“ und die handelsverzerrenden internen Beihilfen „deutlich zu verringern“. Zudem verlangen sie einen zoll- und quotenfreien Marktzugang für die 49 nach UNO-Definition am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sowie eine schnelle Lösung des Problems der hoch subventionierten Baumwollexporte der USA, die „die westafrikanischen Bauern in Not bringen“.

Mit dem Zusammenschluss dürfte der gemeinsame Versuch von Europäischer Union, USA und Japan, die Länder des Südens zur Öffnung ihrer Märkte für Industriegüter und Dienstleistungen aus dem Norden zu bewegen, gescheitert sein. Das hatten sie in einem am Mittwoch unterbreiteten „Entwicklungspaket“ gefordert. In diesem Paket boten Washington, Brüssel und Tokio den ärmsten Entwicklungsländern den zoll- und quotenfreien Zugang zu den Märkten der Industriestaaten an – allerdings erst ab 2009 und mit einigen Ausnahmen.

Während die Europäische Union lediglich Waffen ausnehmen will, denken die USA auch an Ausnahmen für Textilien und andere „sensible“ Produkte. Japan etwa fordert eine Sonderregelung für Reis.

Zum anderen soll den Entwicklungsländern unter dem Slogan „Aid for trade“ (Hilfe für Handel) mehr Geld für den Aufbau ihrer Handelssysteme – Straßen, Computerprogramme und verbesserte Zollabfertigung – gezahlt werden.

Die USA erklärten ihre Bereitschaft, diese Hilfen bis zum Jahr 2010 auf 2,7 Milliarden Dollar jährlich zu steigern. Das Angebot hat allerdings einen großen Haken: Bedingung ist, dass die betroffenen Länder ihre Märkte weiter öffnen. Die EU hatte am Vortag vorgeschlagen, ihre Zahlungen in das Programm von 400 Millionen auf 2 Milliarden Euro zu erhöhen – ohne Bedingungen.

Die scheinbare Großzügigkeit der Industrieländer stößt bei den vorgesehenen Empfängern sowie bei globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) überwiegend auf Skepsis und Ablehnung. Sie kritisieren, die im „Entwicklungspaket“ in Aussicht gestellten Finanzhilfen seien „sehr dürftig“. Das Versprechen der Bush-Administration auf eine Erhöhung der Entwicklungshilfeleistungen sei überdies von der – nicht sehr wahrscheinlichen Zustimmung – des US-Kongresses abhängig.

Die EU habe demgegenüber „eher vage vergünstigte Kredite und andere Verbesserungen in Aussicht gestellt“. Darunter seien auch bereits bei früherer Gelegenheit gemachte Zusagen zu finden.

„Diese PR-Maßnahme soll nur von den tatsächlichen Zumutungen ablenken, die EU und USA gegenüber den Ländern des Südens durchsetzen wollen“, sagte Johannes Lauterbach, der die Verhandlungen in Hongkong für Attac beobachtet.

Auf scharfe Kritik stößt, dass die Versprechungen im „Entwicklungspaket“ abhängig von verbindlichen Zusagen der Länder des Südens sind, ihre Märkte durch Zollsenkungen für Industriegüter und Dienstleistungen aus dem Norden zu öffnen. Kevin Gallagher vom US-Institut für globale Entwicklung und Umwelt der Tufts-Universität sagt, durch die verlangten Zollsenkungen würden die Länder des Südens „Einnahmen von über 62 Milliarden Dollar verlieren“.