„Was können Sie gut?“

Der Unternehmensberater Roland Berger über die Angst vor den Beratern, die Schwäche unserer Wirtschaft, die Kapitalisten von heute und die Arroganz gegenüber den Armen

„In Deutschland haben wir noch viele Jobs,die aus rein ökonomischen Gesichtspunktengar nicht mehr zu rechtfertigen wären“

INTERVIEW STEPHAN KOSCH
UND STEFAN KUZMANY

taz: Guten Tag, Herr Berger. Müssen wir uns jetzt Sorgen machen?

Roland Berger: Warum sollten Sie?

Weil man als Angestellter immer ein mulmiges Gefühl bekommt, wenn Unternehmensberater in einer Firma auftauchen. Am Ende empfehlen die doch immer, Personal abzubauen.

Also, zunächst haben Sie mich ja zum Interview eingeladen. Aber nehmen wir an, Roland Berger hätte tatsächlich einen Beratungsauftrag: Dann wäre eine Unsicherheit bei den Mitarbeitern nur natürlich. Wenn wir gerufen werden, gibt es dafür gravierende Gründe, die die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens betreffen: Neue Technologien, neue Wettbewerber, ein Umsatz- oder Konjunktureinbruch – Veränderungen, mit denen das Unternehmen fertig werden muss, will es überleben. Und am Ende jeder Beratung stehen Veränderungen. Dazu gehört auch, dass niemand weiß, ob der jeweilige Mitarbeiter am Ende noch die gleiche Funktion ausüben wird wie vorher.

Oder ob er überhaupt noch gebraucht wird.

Etwa 80 Prozent unserer Aufträge betreffen die Unternehmensstrategie und beschäftigen sich mit Wachstum, Innovation, Technologien, Prozessoptimierung – das schafft Jobs und eliminiert sie nicht. Wenn es tatsächlich zum Stellenabbau kommt, handelt es sich um Arbeitsplätze, deren Existenz schon vorher ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigen war. Und es werden Jobs abgebaut, um die Firma als unternehmerische Einheit – und damit den Großteil der Arbeitsplätze – zu erhalten. Unternehmensberatung endet jedenfalls vergleichsweise selten mit Entlassungen.

Dann sind wir beruhigt. Aber angenommen, wir würden doch irgendwann arbeitslos werden. Was würden Sie uns raten?

Zunächst einmal würde ich fragen: Was können Sie am besten? Und die zweite Frage heißt immer: Was tun Sie am liebsten? Denn wenn Sie etwas nicht gerne machen, werden sie nicht bereit sein, auch mal 14 Stunden am Tag dafür zu opfern. Dann bleibt die Frage, ob es für Ihre Fähigkeiten einen Markt gibt. Und wo es ihn gibt. Hier würde ich versuchen, Sie mit jemandem zusammenzubringen, der Sie und die Ideen, die wir gemeinsam entwickelt haben, braucht.

Würden Sie uns auch Tricks nennen, wie ich möglichst viel Arbeitslosengeld bekommen könnte? Unternehmensberater sagen so etwas doch auch den Firmen. Wie kann man Standortunterstützung vom Staat bekommen, und dann doch die Produktion nach Polen verlagern …?

Jemanden in Sachen Subventionsbetrug zu beraten, wäre ja illegal. Wir tun so etwas nicht. Es gibt aber durchaus seriöse Spezialisten, die Unternehmen erklären, wofür es welche Förderung gibt. Das ist legitim. Investitionsförderungen gibt es, damit sie genutzt werden. Warum sehen Sie darin ein Problem?

Kein Problem. Wir interessieren uns nur für die Abwägung zwischen dem reinen Shareholder Value und dem Interesse der Gesellschaft.

Welcher Gesellschaft? Der deutschen? Sie haben vorhin in Ihrer Frage unterstellt, dass ein Arbeitsplatz in Deutschland wertvoller sei als in Polen. Das ist zynisch.

Unternehmer müssen also keine Patrioten sein?

Das ist eine reichlich egoistische Debatte. Ist ein Deutscher ein wertvollerer Mensch als ein Pole, ein Chinese oder ein Mensch einer anderen Nationalität? Jeder hat das Recht – und übrigens auch die Pflicht –, sich eine Existenz und eine ordentliche Lebensqualität zu erarbeiten. Übrigens neigt jeder Unternehmer schon emotional dazu, seine Landsleute als Mitarbeiter zu bevorzugen. Und Sie dürfen sicher sein: Er wird sich nur dann von ihnen trennen, wenn ihm die wirtschaftlichen Zwänge keinen anderen Ausweg lassen. Deshalb haben wir noch viele Jobs in Deutschland, die aus rein ökonomischen Gesichtspunkten gar nicht mehr zu rechtfertigen wären. Und zum Shareholder Value: Wer sind denn die Aktionäre, etwa bei Finanzinvestoren? – Das sind Sie und ich.

Also – wir leider nicht.

Indirekt schon. Mit Ihrem Geld, das Sie privat anlegen, beispielsweise um für Ihr Alter vorzusorgen. Die Versicherungen, Sparkassen, Fonds, Pensionskassen, die Ihr Geld verwalten, fordern von den Unternehmern, möglichst hohe Gewinne einzufahren und auszuschütten. Der größte Fonds der Welt ist der Pensionsfonds der öffentlich Bediensteten in Kalifornien. Das sind die „Kapitalisten“ von heute, wenn Sie schon in solchen Begriffen sprechen möchten, nicht mehr Einzelpersonen wie ein Herr Rockefeller.

Dennoch haben wir mehr Langzeitarbeitslose als Millionäre. Ist Erfolg nur eine Frage der Persönlichkeit?

Finnland belegt bei Pisa Platz eins, und zwar nur aus einem einzigen Grund: Die finnische Gesellschaft hat beschlossen, dass jedes „verlorene“ Kind eine verlorene Ressource für die Gemeinschaft darstellt. Das geht so weit, dass dort Elternrechte eingeschränkt werden, um die Kinder individuell fördern zu können. Und ein Lehrer genießt in Finnland ein hohes Sozialprestige, weil er diese wertvolle Ressource Kind ganz persönlich aufbaut und unterstützt.

Das heißt, an unserer Arbeitsmarktmisere ist das Bildungssystem Schuld?

Ganz wesentlich. Aber es gibt immer zwei Erfolgskomponenten. Die eine lautet: Was weiß jemand? Jeder kann ja beliebig und lebenslang dazu lernen. Die zweite sind Persönlichkeitseigenschaften, die durch Erbanlagen oder Erziehung weitgehend bestimmt und daher vom Einzelnen weniger beeinflussbar sind. Und darunter gibt es durchaus welche, die für eine Karriere günstiger, und solche, die weniger günstig sind. Deswegen ist individuelle Förderung ja auch so wichtig. Und deswegen ist es so unverständlich, dass die Bundesanstalt für Arbeit vor der Agenda 2010, vor ihrer Reform, Arbeitssuchende als statistische Größen praktisch nur verwaltet hat. Nun bemüht man sich ja unter dem Motto „Fordern und fördern“ über ein individuelles Mentorenkonzept jeden Menschen in Arbeit zu bringen. Tatsache ist aber leider auch, dass die gesamte Volkswirtschaft im Moment nicht genug Arbeitsplätze nachfragt. Das aber hängt wiederum von anderen Rahmenbedingungen ab, die weitere politische und wirtschaftliche Veränderungen erfordern.

Nämlich?

Sehen Sie, es gibt in England, Irland und den USA nur eine sehr geringe Arbeitslosigkeit, die sich vor allem durch eine natürliche Fluktuation erklären lässt. Das ist möglich, wenn die Wirtschaft stärker wächst als die Arbeitsproduktivität. Deutschland ist zwar stark in Industrien, die über hundert Jahre alt sind: Auto, Maschinenbau, Chemie. Aber wir schwächeln in den Sektoren, die nach dem Krieg entstanden sind – Elektronik, Computer, HiFi, Mobiltelefone, auch hochqualifizierte Dienstleistungen. Da hat nicht nur der Staat, da haben auch einige Unternehmer versagt: Herr Morita von Sony und Herr Grundig haben etwa im gleichen Jahr ihre Firmen gegründet. Heute macht Sony 60 Milliarden Euro Umsatz, und Grundig gibt es im Prinzip nur noch als Label für türkische Produkte.

Aber ist das Problem nicht, dass wir in einer schon sehr gesättigten Gesellschaft leben? Die Unternehmen müssen doch Bedürfnisse künstlich erzeugen.

Das können sie nicht. Das geht nur über neue Produkte und Dienste, die ein bestehendes Bedürfnis auch wirklich besser und billiger befriedigen.

Einen i-Pod braucht niemand, den muss man über das Image verkaufen.

Brauchen Sie ein Auto? Wir haben uns ja früher auch zu Pferd und in der Kutsche fortbewegt. Tatsächlich gibt es keine Bedarfssättigung. Man darf ökonomischen und technischen Fortschritt nicht durch Vorurteile verteufeln. Zumal er die Voraussetzung dafür ist, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Das ist übrigens die größte Arroganz: Wir tun immer so, als bräuchten wir nicht mehr zu wachsen, weil wir in Deutschland schon alles haben. Aber es darf uns doch nicht unberührt lassen, dass über eine Milliarde Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen.

Und das, obwohl sie Arbeit haben. Sie zeichnen da ein sehr idealistisches Bild. In der Realität ist es doch so, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht.

Vor zwanzig Jahren haben noch vierzig Prozent der Weltbevölkerung von einem Dollar pro Tag gelebt, heute sind es „nur“ noch zwanzig Prozent, was beschämend genug ist. Die Zahl der Bitterarmen geht demnach zurück – und zwar eindeutig als Ergebnis der Globalisierung.

Warum gibt es in Deutschland eigentlich keine Berger-Kommission?

Ich war vor Jahren Vorsitzender der „Kommission zur Neuordnung der Ministerbezüge in Nordrhein-Westfalen und Bayern“. Aber die hieß Gott sei Dank nie Berger-Kommission. Es gibt keinen politischen Vorschlag, der direkt mit meinem Namen verknüpft ist – was ich begrüße. Allerdings habe ich einige Vorschläge mit erarbeitet, die Parteien und Regierungen in ihre Programme aufgenommen und sogar umgesetzt haben.

Sie hätten Schröders Wirtschaftsminister werden können, haben aber abgelehnt.

Das entsprach nie meiner Lebensplanung. Und in unserem System der Berufsparteipolitiker glaube ich nicht an faire Chancen für Quereinsteiger ohne Parteihausmacht. Denn dann hängen sie allein von der Zustimmung des Bundeskanzlers ab. Und wenn sie dem sechsmal widersprochen haben, kann ihre politische Rolle schnell beendet sein. Und offenbar ist es ja auch unsinnig, Quereinsteiger ohne Parteizugehörigkeit und politische Erfahrung in den Wahlkampf zu schicken. Die Kanzlerin oder der Kanzler sollten sie nach gewonnener Wahl ins Kabinett holen.

Sie bleiben lieber im Hintergrund?

Ich leiste meinen Beitrag und setze mich intensiv dafür ein, das Gespräch zwischen den einzelnen Säulen der deutschen Gesellschaft in Bewegung zu bringen. Das hat durchaus häufig größeren Nutzen gestiftet. Die persönliche Beratung einzelner Politiker bringt aber auch manche Frustration: denn sie fragen ja noch zehn andere, und der Ausgang ist ungewiss. Und manche sind halt so veranlagt, dass immer der Recht bekommt, der als Letzter den Raum verlässt. Und manchmal bin ich nicht der Letzte gewesen.