Das üben wir noch

Heute Abend sammeln Prominente wieder Spenden für „Ein Herz für Kinder“ (ZDF, 20.15 Uhr).Sehr anständig! Nur: Weil Charity-Galas gut gemeint sind, müssen sie nicht schlecht gemacht sein

VON MARTIN REICHERT

Charity-Gala geht zum Beispiel so: Man wird mit dem Jet aus der Metropole abgeholt und zum Black Forrest Air Port in Lahr gebracht. Am verregneten Flughafen stehen Clowns neben als Mäusen verkleideten Menschen, sie spielen zur Begrüßung Dixieland. Eine Maja von Soundso mit rosa Katzenkörbchen bekommt fast einen Nervenzusammenbruch, weil sie glaubt, im Journalisten-und-Fußvolk-Bus zum Europapark Rust gefahren zu werden. Rettung naht in Form einer silbernen S-Klasse-Limousine. Gerade noch mal gut gegangen, VIP-Shuttle. Es geht um die gute Sache. Power-Child soll bespendet werden, Veronika Ferres’ Verein zur Prävention von sexueller Gewalt gegen Kinder. Kinder, das zieht immer. Tiere auch, wenn sie gut aussehen und Fell haben.

Pralle Give-away-Tüte

Wer zur Gala möchte, muss über den roten Teppich und sich an Prominenten aus Film und Fernsehen vorbeidrängeln, die fotografiert werden. Roberto Blanco, Hartmut Engler, das ein oder andere Luder. Wenn es losgeht, singt DJ Bobo, und Moderator Johannes B. Kerner sagt: „Ich möchte darauf hinweisen, dass es nicht allen so gut geht wie uns.“ Die Tischnachbarin, ein bildschönes Modell, langweilt sich und pickt lustlos in ihrem Viergängemenü herum, später gewinnt die ehemalige Miss Europa (70) einen Flat-Screen bei der Tombola, und bei der Versteigerung erzielt das Gemälde von Jörg Immendorff Höchstpreise, weil der Marktwert demnächst steigen wird. So sicher, wie es zum Abschied eine prall gefüllte Give-away-Tüte geben wird.

Eine Charity-Gala ist kein Benefizkonzert im Bürgerzentrum. Eine José-Carreras-Gala für leukämiekranke Menschen kostet mit allem Tinneff über eine Million Euro, dafür bringt sie allerdings auch, wie in diesem Jahr, sechs Millionen Euro ein. Das rechnet sich ganz einfach. Bei Power-Child weiß man nicht so genau, wohin die Spendengelder eigentlich fließen und was das Ganze soll (die taz berichtete), aber die Veronika Ferres mag Kinder wirklich gerne und steht sehr gerne im Rampenlicht. Das tut niemandem weh, und Mutter Teresa war auch nicht nur altruistisch, sondern hat sich einen Stammplatz mit Namensschild im Himmel gesichert. Gleich neben Ute-Henriette Ohoven, der First Lady des deutschen Charity-Wesens (wobei noch unklar ist, wie der Prozess um ihren betrügerischen Exagenten Heiko Günther ausgeht, der gerade in München-Stadelheim einsitzt).

Belastend jedoch wird Charity, wenn sie live übertragen wird. José Carreras hat für seine sechs Millionen drei Stunden gebraucht, „Ein Herz für Kinder“ beansprucht ganze zweieinhalb Stunden Sendezeit. Im Fernsehen ist das sehr viel Zeit, im richtigen Leben erst recht. Umso ärgerlicher, wenn hoch bezahlte Autoren und Regisseure es einfach nicht schaffen, über den Rand ihres Setzkastens hinauszuschauen. Für die „Waisenkinder“, so das diesjährige Motto der Kinder-Gala, werden singen: Yvonne Catterfeld, Klaus Meine und Bryan Adams. Genauso gut möglich gewesen wäre: Sarah Connor, die Scorpions und – unbedingt eigentlich – Peter Maffay. Die Krankameras werden schwenken, bis der Ü-Wagen glüht, Thomas Gottschalk wird dampfplaudernd Übergänge schaffen zwischen Promi-Interviews und Schalten in die Telefonzentrale (Florian Silbereisen, Uschi Glas). Wenn nur der André Rieu zu Hause bleibt!

Nein, es ist nicht schön. Aber auch Charity muss gekonnt sein. In Deutschland tut man sich im Vergleich zu den USA noch schwer, eine gewisse provinzielle Trutschigkeit ist nicht zu verbergen, auch das schlechte Gewissen nicht: Taubenbrüstchen essen gegen den Hunger in der Dritten Welt – die Mehrheit kennt das vom Kuchenbasar in der Schule.

Andererseits hat in Deutschland der Rückzug des Sozialstaats gerade erst begonnen, die entsprechenden Leerstellen müssen nun mit Social Marketing und Social PR bespielt werden – Techniken, die von den Akteuren zunächst erlernt werden müssen, bevor sie bei den Empfängern auf Akzeptanz stoßen können. Das üben wir noch.

Halbnackte Performance

Bei Veronika Ferres’ Power-Child-Gala im Europapark Rust gab es zum Abschied übrigens eine Riesen-Performance mit halbnackten KünstlerInnen und einem weißen Studio-54-Pferd, das durch den Festsaal trabte. Die Künstler sagten und sangen: „Nur der Schönheit weihen wir unser Leben“ und: „Zwischen den Zeilen steht nichts als nichts, sonst nichts“. Sehr schön.