mail aus manila
: Alles Routine

Schlafende Beamten, dutzende Formulare, eine Führerin: ein Tag auf der Einwanderungsbehörde der Philippinen

Der Bürochef der Einwanderungsbehörde der Philippinen ist Anfang sechzig, hat einen militärisch kurzen Haarschnitt und ein kantiges Profil. Er hat sich in seinem Bürostuhl zusammengerollt, die Schuhe ausgezogen, seine Füße in den schwarzen Wollsocken sind auf einem Lederschemel geparkt. Sein Schreibtisch ist leer, bis auf eine leere Kaffeetasse und einige Reiskörner, die beim Mittagsessen heruntergefallen sein müssen. Langsam hebt sich seine Brust und seine Krawatte, die mit einer Krawattennadel festgehalten wird. Der „officer in charge“ des Departments of Emigration, hält Mittagsschlaf. Ich sehe ihm dabei zu, eine Stunde lang.

Ich sitze auf dem Besucherstuhl neben dem Schreibtisch seiner Sekretärin, die ebenfalls mit halb offenem Mund leise vor sich hin schnurchelt. Im Nebenzimmer sehe ich durch eine Tür einen jungen Beamter mit gegelten Haaren auf seinem Schreibtisch liegen, ein anderer spielt mit einem Gameboy. Draußen geht Manila im grellen Sonnenlicht seinen hektischen Geschäften nach. Aber hier im Halbdunkel des Einwanderungsbüros ist für eine knappe Stunde die Zeit stehen geblieben. Ich fühle mich wie auf der Säuglingsstation, bei der man durch die Glasscheibe den Neugeborenen beim Schlafen zusehen kann.

Ich unterrichte seit einem knappen halben Jahr an der Universität der Philippinen. Ich müsse nur ein paar bürokratische Formalitäten über mich ergehen lassen, hatte man mir an meinem ersten Arbeitstag bei der Personalstelle gesagt. Eine Arbeitserlaubnis bräuchte ich, und ein neues Visum. Alles Routine, die in ein paar Wochen erledigt sein würde. Das war vor mehr als vier Monaten. Meine Arbeitserlaubnis habe ich vor zwei Wochen endlich bekommen. Aber nun läuft in ein paar Tagen mein Visum aus, und ein neues habe ich immer noch nicht, obwohl ich inzwischen ein Monatsgehalt für Bearbeitungs- und Stempelgebühren bezahlt habe. Darum hat M. von der Personalstelle entschieden, dass wir heute zusammen zum Department of Emigration gehen, um den Vorgang zu beschleunigen.

Dort angekommen, stellt mir M. eine Freundin vor, die hier arbeitet. Nachdem er ihr einen Fünfhundert-Peso-Schein (das sind ungefähr acht Euro) von mir zugesteckt hat, weicht sie den Vormittag über nicht mehr von unserer Seite. Wir gehen etwa zwanzigmal zwischen den beiden Gebäuden des Departments hin und her. Auf halber Strecke hält mir jedes Mal ein Straßenhändler eine gefälschte Rolex unter die Nase und sagt: „You like? You buy!“

M.s Freundin führt mich von einem Büro zum anderen, von einem gelangweilten Sachbearbeiter zum nächsten. Die sitzen an mechanischen Schreibmaschinen, und drücken mir Formulare in die Hand, die ich ausfülle. Eins ist so lang wie mein Arm, und muss zweimal gefaltet werden. Außerdem muss ich vierzehn Passbilder hinterlegen. Zum Schluss habe ich einen zentimeterdicken Stapel Formulare unter dem Arm, und nun muss ich alle vor einem Notar unterschreiben, meinen Daumen auf ein Stempelkissen drücken und auf jedem Formular einen Fingerabdruck machen. Im nächsten Büro untersucht ein „finger-print expert“ die Abdrücke. Er entscheidet, dass es meine sind, ohne sich meine geschwärzten Daumen noch einmal anzusehen. Es ist Mittagessenzeit.

Um kurz vor halb eins wird die Freundin von M. unruhig, guckt immer wieder auf die Uhr, drängt zur Eile. „Jetzt fehlt nur noch eine Unterschrift“, sagt sie. „Besser, wir sind vor halb eins bei ihm.“ Aber als wir in das Großraumbüro eintreten, wird dort gerade das Licht ausgeschaltet.

Meine Führerin tritt neben den Schreibtisch, der in einer Nische steht, die mit Karteikästen vom übrigen Büro abgetrennt ist. Sie deutet hilflos auf den Chef, der sich mit geschlossenen Augen in seinem Sessel zusammengerollt hat. Seine Sekretärin deutet wortlos auf einen Stuhl. Ich setzte mich dort hin und fange an, im Halbdunkel zu warten.

Um halb zwei schaltet jemand das Licht an. Der Bürochef schlägt die Augen auf, fährt sich mit der Hand über das Gesicht, setzt sich gerade hin und gähnt. Er dreht sich auf seinem Stuhl um, sieht erst mich, dann meinen Formularstapel, der auf dem leeren Schreibtisch vor ihm liegt. Er zieht einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche, unterschreibt ohne zu zögern das Visum, das zuoberst liegt, und wendet sich an mich. „Sie wollen heute abfahren?“, fragt er. Keine Ahnung, wie er auf die Idee kommt. Ich sage ja, jetzt bloß keine Fragerei provozieren. Der Bürochef reicht mir meine Formulare und wünscht mir eine gute Reise. TILMAN BAUMGÄRTEL