UNTER WEIHNACHTSBÄUMEN: SACHBUCHTIPPS AUS DER REDAKTION
: Die Legitimität

Jan Philipp Reemtsma: „Folter im Rechtsstaat“, Hamburger Edition, 2005, 150 Seiten, 12 Euro

Muss das Folterverbot absolut sein? Oder kann es Ausnahmen geben? Diese Frage steht im Zentrum von Jan Philipps Reemtsmas Einkreisung eines Problems, das vertrackter ist, als es auf den ersten Blick scheint. Klar ist man gegen Folter. Aber was, wenn ein rechtsextremer Terrorist wahrscheinlich eine Bombe deponiert hat, die hunderte das Leben kosten wird? Zählt dann die Würde eines Einzelnen mehr als das Recht auf Leben von hunderten?

Man kann dieses Beispiel für hypothetisch halten, für einen Trick, um dem Unrecht, der Folter, den Weg ins Recht zu ebnen und Skandale wie Guantánamo in milderem Lichte erscheinen zu lassen. Politisch ist die Befürchtung, dass mit solchen Beispielen ein Dammbruch vorbereitet wird, einleuchtend – intellektuell aber ist diese Antwort unzureichend.

Reemtsma nimmt dieses Szenario daher als moralische und rechtsphilosophische Herausforderung an. Seine Antwort: Eine Einzelperson kann im Extremfall zur Folter greifen, wenn sie höhere Werte gefährdet sieht als die Würde einer Person – der Rechtsstaat aber darf dies keinesfalls. Wenn er Folter auch nur ein kleines bisschen erlaubt, büßt er seine Legitimität ein. Warum?

„Die Folter ist mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar, weil durch sie das Individuum in seiner Fähigkeit, ein Rechtssubjekt zu sein, angegriffen, ja im Extremfall als autonomes Individuum zerbrochen und zerstört wird.“ Die Idee des rechtsfähigen Subjekts aber ist, so Reemtsma, „die selbstgemachte Voraussetzung des Rechtsstaates“. Der Rechtsstaat, der Folter zulässt, vernichtet seine eigene Grundlage. Der Staat, der seine Bürger als Rechtssubjekte zerstört, hört auf, Rechtsstaat zu sein.

Das Folterverbot verweist auf fundamentale Fragen, was ein Staat darf und was nicht. All dies verhandelt Reemtsma in gebotener Komplexität, abwägend, aber ohne Zweideutigkeit. Am Ende steht ein klarer Satz. „Wir sind, was wir tun. Und wir sind, was wir versprechen niemals zu tun.“ Das ist kein rhetorischer Trick, der das Leid des Anderen, Gefolterten, zu unserer Sache erklärt. Das Folterverbot ist unsere Sache. Reemtsmas Text rückt dicht vor Augen, warum die Debatte um CIA-Flüge und CIA-Gefängnisse mit uns zu tun hat.

STEFAN REINECKE

Wurstgulasch

Jutta Voigt: „Der Geschmack des Ostens“, Gustav Kiepenheuer Verlag, 214 Seiten, 16 Euro

Wie schmeckte die DDR? Nach Gleichheit und Schnitzel mit Mischgemüse? Nach Anpassung und Sättigungsbeilage? Oder nach Chateaubriand und Privilegien? Diesen Fragen geht die Journalistin Jutta Voigt nach.

Sie setzt sich an einen Tisch, der schon lange nicht mehr gedeckt ist. Sie blättert in sozialistischen Kochbüchern und in Parteitagsbeschlüssen zur Versorgungslage. Sie riecht und schmeckt sich in die Vergangenheit zurück, die auch ihre war. Es ist ein Tischleindeckdich von der Nachkriegszeit bis zum Küchenschluss, dem Ende der DDR.

Das Buch ist kein nostalgischer Abgesang auf Goldbroiler, Kasslerrolle oder Makkaroni mit gebratener Jagdwurst. Es ist auch keine Abrechnung mit den Dominas von Konsum und HO und den Kellnern, die Könige waren. Es ist eine interessante sozialistische Küchenkritik zwischen Verzicht und Völlerei. Einige der abgedruckten Rezepte sind weniger eine Kochanleitung als vielmehr eine Beschreibung der ökonomischen und gesellschaftlichen Zustände. Der Wurstgulasch zum Beispiel: „Nehmen wir einfach zwei, drei Bockwürste, die gibt es immer, 50 Gramm Margarine, gibt’s auch, zwei Möhren und eine Tomate werden sich schon irgendwo auftreiben lassen, einen Viertelliter Wasser oder Brühe, einen Eßlöffel Mehl, kein Problem, und eine kleine Gewürzgurke, mal sehn.“ Nebenbei wird der Köchin, die außerdem Werktätige und Mutter ist, der Rücken gestärkt: „Und wenn es dem Mann nicht schmeckt, soll er sich gefälligst selber was kochen.“

Jutta Voigt führt den Leser in Konsumläden, Durchreicheküchen von Plattenbauten, ihre eigene Küche, Betriebskantinen, „sensationell amerikanische“ Milchbars, japanische Restaurants mit jahrelangen Vorbestellungen und in Funktionärsstuben, von wo aus die Versorgung und der Geschmack gesteuert wurden. Dabei findet sie viele Antworten auf die Frage, wie die DDR denn nun geschmeckt hat. „Der Osten hatte einen bitteren Beigeschmack und hinterließ doch eine Spur von Restsüße.“ Wäre die DDR ein Menü gewesen und Jutta Voigt Restaurantkritikerin, so hätte ihr gastronomisches Urteil gelautet: „Das Beste war die Vorspeise. Kraftvoll, originell, vielversprechend. Das Hauptgericht enttäuschte. Unentschieden, langweilig, lauwarm. Nachtisch Banane. Glückshormone auf die krumme Tour.“ BARBARA BOLLWAHN

Krieg und Ironie

Chris Ayres: „War Reporting for Cowards“, John Murray Publishers, London 2005, 289 Seiten, 20,09 Euro

Zeitungsreporter, die weit entfernt von der Zeitzone stationiert sind, in der ihr Blatt erscheint, gewöhnen sich Tricks an. Etwa: wach und schaffensfroh zu wirken, auch wenn sie die Redaktion aus dem Tiefschlaf geholt hat. Diese Gewohnheit hatte für Chris Ayres, den Hollywood-Reporter der Londoner Times, fatale Folgen. Eines Morgens läutete sein Telefon und am anderen Ende der Leitung war Martin Fletcher, der Chef des Auslandsressorts. „Ayres, willst du in den Krieg ziehen?“ Ayres’ automatisierte Antwort im Halbschlaf: „Ja! Mit großem Vergnügen.“

Aus Angst um seinen Job nimmt er die vorschnelle Zusage nicht zurück – er zog in den Krieg, weil er ein Feigling ist. So wurde Chris Ayres, der bisher als Wirtschaftsjournalist gearbeitet und gerade auf seinen neuen Posten als Celebrity-Reporter gewechselt hatte, zum eingebettenen Kriegsberichterstatter. Sein Pech: Statt eines ruhigen Postens auf einem Flugzeugträger wird er einem Kommando der US-Marines zugewiesen, das direkt an der Front operiert.

Ayres machte das Beste daraus: Er schrieb ein Buch „War Reporting for Cowards“, das es auf die Bestsellerliste der New York Times schaffte und eine neue Literaturgattung erfand – Kriegsberichterstattung mit Ironie und Aberwitz. Unter den US-Soldaten im Irak ist das Buch ein Renner, vorausgesetzt, sie finden ein paar Minuten, in denen ihnen zum Lachen zumute ist.

Womöglich hat Ayres die literarische Form gefunden, die dem absurden Konzept des bei der Truppe „eingebetteten“ Reporters angemessen ist. Er riskiert sein Leben und weiß nicht, was genau vor sich geht – er kennt nicht einmal die ungefähre Position seiner Einheit. Nach knapp zehn Tagen Krieg hat Ayres genug und lässt sich nach Kuwait zurückbringen. Sein Helikopter kommt unter Beschuss, Ayres bezahlt seine Flucht vom Schlachtfeld beinahe mit dem Leben. Die Times bringt ihn deshalb groß raus. Ayres’ Fazit: „Marines kommen wegen Feigheit vor ein Kriegsgericht; Journalisten in eine Suite im Marriott-Hotel.“ DANIEL HAUFLER

Hubertle

Gisela Freisinger: „Hubert Burda. Der Medienfürst“. Campus Verlag, 436 Seiten, 24,90 Euro

Offenburg im Juli 1999. „Mutter, du bist ein Erdbeben! Du bist Aphrodite, weil du ein Leben lang schön warst! Du bist Artemis, du bist eine ruchlose Jägerin. Mutter, du bist die gescheite Frau, die dem Zeus aus dem Kopf gesprungen ist: Pallas Athene!“ Der Sohn, der seine Mutter so preist, ist zu diesem Zeitpunkt 59 Jahre alt und auf dem besten Weg, seine zweite Milliarde zu machen. Er heißt Hubert Burda – Verleger von Focus, Bunte, Super-Illu und Chef eines der 50 größten Medienunternehmen weltweit. Sechs Jahre später nimmt ihn seine Biografin Gisela Freisinger beim Wort und und schreibt die Geschichte der Burdas als eine Sage olympischen Ausmaßes auf. Die Wahl ihrer Helden ist brillant. Denn die Burdas sind nicht nur reich, mächtig und leicht erzürnbar. Wie es sich für klassische Götter gehört, sind sie auch menschlich und fehlbar.

„Hubertle“ wird der jüngste der drei Söhne von Verlagsgründer Franz „Senator“ Burda noch heute von einigen Wegbegleitern abschätzig genannt. So recht können sie seinen Aufstieg wohl noch immer nicht begreifen. Dass sich das 1,70 Meter große Lieblingskind von Mutter Aenne eines Tages zum mächtigen Verleger mit Schauspielerin Maria Furtwängler als „Trophy Wife“ an seiner Seite aufschwingt, ist tatsächlich bis in Burdas fünftes Lebensjahrzehnt nicht absehbar. Zu schroff die Ablehnung durch den Vater, zu spektakulär die Niederlagen mit eigenen Titeln wie dem ambitionierten Männermagazin m.

Erst mit 47 wird Hubert Alleininhaber des Burda Verlags. Was ihn in all den Jahren bis zum Durchbruch als Verleger antreibt, zeichnet Freisinger mit Gespür fürs Tragikomische nach: Es sind Ehrgeiz, Eitelkeit, Neugier und Wagemut, die Burda trotz aller Rückschläge immer wieder Neues ausprobieren lassen. Entstanden ist so kein Hintergrundbuch für Medienjournalisten, das nüchtern den Gründungsmythos von Burda Moden bis zur Erfolgsgeschichte von Focus nacherzählt. Vielmehr ist Freisinger eine opulente Sittengeschichte voll mit ödipal veranlagten Söhnen und betrogenen Ehefrauen gelungen, die genauso wunderbar unterhält, wie sie informiert. HANNAH PILARCZYK