„Big Brother läuft Amok“

Nach einer Presseveröffentlichung räumt US-Präsident Bush die Genehmigung von Lauschangriffen ein. Gleichzeitig appelliert er an den Senat, die Anti-Terror-Gesetze zu verlängern. Der Vorsitzende des Justizausschusses kündigt eine Anhörung an

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Nachdem ein Artikel der New York Times über Abhöraktionen einen Sturm der Entrüstung im US-Kongress ausgelöst hatte, gab Präsident George W. Bush am Samstag zu, Lauschangriffe innerhalb der USA angeordnet zu haben. Bush verteidigte in seiner Radioansprache aus dem Weißen Haus das elektronische Abhörprogramm als „wichtiges Werkzeug in unserem Kampf gegen den Terrorismus“.

Er räumte ein, nach den Anschlägen des 11. September 2001 in mehr als 30 Fällen Abhöraktionen des militärischen Geheimdienstes NSA persönlich angeordnet zu haben, ohne zuvor richterliche Anordnungen eingeholt zu haben. Die NSA darf normalerweise auf amerikanischem Boden niemanden ausspionieren. Bush sagte hingegen, das Programm sei verfassungsgemäß und werde weitergeführt.

Der Lauschangriff sei „notwendig, um das Leben von Amerikanern zu schützen“, sagte Bush weiter. Er begründete die Anordnung mit seinen Vollmachten als Präsident. Der demokratische Senator Russell Feingold nannte diese Argumentation „absurd“. Der Mann im Weißen Haus sei „Präsident und nicht König Bush“.

Bush übte in seiner Ansprache auch heftig Kritik an Senatoren beider Parteien, weil sich der Senat am Freitag mehrheitlich geweigert hatte, die zum Jahresende auslaufenden Bestimmungen des Patriot Act umgehend zu verlängern. „Im Krieg gegen den Terror können wir es uns nicht leisten, nur einen Moment ohne dieses Anti-Terror-Gesetz zu sein“, sagte Bush. Der Senat hatte mit seiner Weigerung dem angeschlagenen Präsidenten eine schwere Niederlage zugefügt.

Wenige Tage zuvor hatte das Repräsentantenhaus einen Kompromiss verabschiedet, der die befristeten Teile des Patriot Act mit Änderungen dauerhaft in Kraft setzen würde. Umstritten bleibt dabei weiterhin die Möglichkeit umfassender Abhöraktionen sowie die Auswertung von Daten aus Firmen, Arztpraxen und Bibliotheken. Kritiker weisen darauf hin, dass die Gesetze nach den Terroranschlägen hastig und unter Zeitdruck erarbeitet worden seien. Der Kongress solle sich deshalb mehr Zeit nehmen, um die Rechte unschuldiger Bürger zu schützen.

Mehrere Senatoren begründeten ihre Weigerung mit den Presse-Enthüllungen über die Abhöraktionen. Der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, der Republikaner Arlen Specter, kündigte noch am Freitag eine Anhörung an: „Es gibt keinen Zweifel daran, dass dies unangemessen ist.“ Senator John McCain nannte die Enthüllungen beunruhigend. Der demokratische Senator Edward Kennedy sagte: „Big Brother läuft Amok.“

Bush erklärte, das von ihm bestellte zusätzliche NSA-Abhörprogramm habe dazu beigetragen, mögliche Terroranschläge in den USA und im Ausland zu vereiteln. Er machte dazu jedoch keine näheren Angaben. „Es handelt sich um ein streng geheimes Programm, das für unsere nationale Sicherheit äußerst wichtig ist“, erklärte der Präsident und kritisierte dessen Veröffentlichung. „Unsere Feinde haben Informationen bekommen, die sie nicht haben sollten.“