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: „Vom Himmel hoch“ von Eric Guirado

Zur Weihnachtzeit soll in den Innenstädten nichts den Besuchern die Kauflaune vermiesen. Alles ist festlich geschmückt, nur die bettelnden Arbeitslosen und saufenden Punker, die es sich oft gerade an den schönsten Ecken häuslich eingerichtet haben, stören die Idylle. Da wird dann gerne mal von den zuständigen Behörden eine Bestimmung erlassen, die nicht unbedingt dem Geist der weihnachtlichen Nächstenliebe entspringt. In Bremen sprach einmal ein Lokalpolitiker vom Marktplatz als der „guten Stube“ der Stadt, die gebührend saubergehalten werden sollte. In Frankreich gibt es seit 1996 städtische Verordnungen, die es gestatten, dass in der Weihnachtszeit Obdachlose zwangsweise zusammengetrieben, in Lastwagen verladen und dann irgendwo auf freiem Feld ausgesetzt werden. Dies empörte den jungen Filmemacher Eric Guirado so, dass er zuerst einen hochprämierten Kurzfilm und danach dann auch noch seinen ersten Langfilm über diesen neuen weihnachtlichen Brauch inszenierte.

Nun wird aus einer flammenden Anklage gegen solche menschenunwürdigen Zustände nicht automatisch auch gleich ein guter Film. Mit Herzblut werden nicht unbedingt die besten Geschichten geschrieben. Doch bei „Quand tu descendras du ciel“ (so der Originaltitel) merkt man schon von der ersten Einstellung an, dass da ein zugleich leidenschaftlicher und talentierter Filmemacher antritt. Dem Titel entsprechend senkt sich die Kamera aus dem Himmel auf einen schäbigen, kleinen Bauernhof hinab, bis sie dort bei dem jungen Bauern Jérôme landet, der sich im Morgengrauen gerade auf den Weg in die Stadt macht, wo er Arbeit suchen muss, weil der Hof seiner Familie hoch verschuldet ist. In der Großstadt ist Jérôme ein sympathisches und ein wenig naives Landei, das auch gleich Glück hat, und einen Job bekommt. Für die Stadtverwaltung soll er dabei helfen, Tannenbäume mit Lichterketten zu schmücken, und dabei sind auch seine bäuerlichen Fähigkeiten und Kenntnisse gefragt. Da ihm die sozialen Hierarchien und Konventionen der Stadt fremd sind, freundet er sich mit dem exzentrischen Obdachlosen „La Chignole“ an, den der Schauspieler Serge Riaboukine in einer liebevollen Parodie auf Gérard Depardieu als eine Mischung aus dessen Boudu und Cyrano de Bergerac gibt. Aber mit der Romantik der Clochards ist es nicht mehr weit her, wenn diese wie Tiere zusammengetrieben, in Lieferwagen verfrachtet und dann weit weg im winterlichen Nirgendwo ausgesetzt werden. Bei dieser Aktion ist auch Jérôme ein Helfer, erlebt, wie brutal die privaten Sicherungskräfte mit den Armen und Schwachen umspringen, wie da auch schon mal eine etwas verwirrte Rentnerin im Lieferwagen landet und ein Kranker einfach bewusstlos auf einem gefrorenen Acker liegengelassen wird. Jérôme steht vor der Entscheidung Job oder Moral, und die Situation spitzt sich noch zu, wenn eine junge Journalistin auftaucht, die über diese Missstände berichten will und hofft, von Jérôme Informationen zu bekommen.

Sobald diese Dreierkonstellation mit dem Protagonisten zwischen einem der verschleppten Obdachlosen und einer idealistischen Humanistin deutlich wird, glaubt man den Ausgang der Geschichte vorhersagen zu können, aber auch hier überrascht uns Guirado wieder. Indem er nicht die Figuren einem abstrakten Plot folgen lässt, sondern statt dessen die Geschichte von den Charakteren her erzählt, bleibt er immer ganz nah an den Menschen, verzichtet auf die üblichen dramaturgischen Lösungen und zeigt dafür ein viel wahrhaftiges Bild. Dabei sind ihm solch wunderbaren Szenen gelungen wie etwa das Weihnachtsbesäufnis von Jérôme mit seiner in der Stadt lebenden Schwester, bei der die ausgelassene Stimmung plötzlich umkippt und die Geschwister sich wohl zum erstem Mal in ihrem Leben die Wahrheit ins Gesicht schreien. An solchen Szenen wirkt nichts wie gespielt. Guirado ist einer von den Regisseuren, deren Filme so authentisch wirken wie Dokumentationen, und die ihre Kunstfertigkeit dabei so geschickt verbergen, dass man leicht übersieht, wie komplex und raffiniert sie inszeniert sind. Wilfried Hippen