Klientelpolitik siegt über Naturschutz

US-Konzerne sollen künftig im Nordosten Alaskas nach Öl bohren dürfen – ohne Rücksicht auf das einzigartige Biotop

WASHINGTON taz ■ Der demoratische Senator Frank Lautenberg aus dem US-Bundesstaat New Jersey nennt es ein „Weihnachtsgeschenk an die Ölindustrie“: Noch unmittelbar vor der Festtagspause hat das Abgeordnetenhaus den Weg für die umstrittenen Ölbohrungen im nördlichsten Naturschutzgebiet der USA in Alaskas Nordosten frei gemacht – mit einem Kniff: Das O.K. für die Ölbohrungen wurde mit der Bewilligung des Pentagon-Nachtragshaushaltes verknüpft. Stimmt nun noch der US-Senat zu, haben die Lobbyisten des heiklen Ölprojekts nach 25 Jahren endgültig gesiegt.

Die Erschließung des seit 1980 kartierten Ölfeldes ist ein Kernstück der energiepolitischen Pläne von US-Präsident George W. Bush. Die Befürworter argumentieren, dass die geplante Ölförderung der nationalen Sicherheit diene, rund 700.000 Jobs schaffe und dem US-Haushalt bis zu 2,4 Milliarden Dollar einbringe.

Die Hoffnung der Kritiker liegt auf den Demokraten. Etliche von ihnen haben erklärt, dass sie die Ölbohrungen in Alaska verhindern wollen. Auch zwei Dutzend Republikaner sind gegen das Projekt.

Die rund 80.000 Quadratkilometer große bedrohte Fläche ist der Lebensraum zahlreicher Vogel-, Fisch- und Säugetierarten wie Caribous und Polarbären. Wie viel Öl dort tatsächlich lagert und welche Qualität es hat, darüber gehen die Ansichten weit auseinander: Der statistische Mittelwert der Schätzungen liegt bei rund 10,4 Milliarden Barrel (je 159 Liter) Öl, wobei die Obergrenze der Spekulationen an die 16 Milliarden reicht, während die meistzitierte geologische Studie aus dem Jahr 1998 von sicheren 5,6 Milliarden Barrel Öl ausgeht. Die entscheidenden seismischen Studien wurden bereits Mitte der 80er-Jahre durchgeführt. Probebohrungen gab es bislang nicht. „Da gibt es fraglos zahlreiche Unsicherheiten“, sagt der Geologe David Houseknecht.

Der US-amerikanische Bund für Steuerzahler und Verbraucherrechte kritisiert, dass die Ölindustrie das in Alaska gewonnene Öl unter den gegenwärtig geltenden Gesetzen ins Ausland verkaufen könne. „Alaskas Natur zu zerstören, damit Ölfirmen Geld in Singapur verdienen können, kann nicht im Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit sein“, sagt Bund-Präsident Jamie Court. US-Firmen exportierten Öl, um Gas- und Heizölpreise auf dem amerikanischen Markt hoch zu halten. Das belegten Daten des Energieministeriums: Die Ölfirmen exportierten in den ersten sieben Monaten 2005 rund 1,5 Milliarden Barrel Heizöl mehr als in den Vorjahren, der Import schrumpfte.“

Umweltschützer kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Öffnung des von ihnen als „Serengeti Nordamerikas“ bezeichneten Gebiets. 1969 hatte Präsident Dwight D. Eisenhower den schmalen Tundra-Küstenstreifen 300 Kilometer nördlich des Polarkreises unter Schutz gestellt. Pläne, die Öl- und Gasvorkommen auszubeuten, scheiterten wiederholt – unter anderem in den 70er-Jahren am damaligen Präsidenten Jimmy Carter, der das Schutzgebiet sogar vergrößerte, und in den 90er-Jahren an Präsident Bill Clinton.

ADRIENNE WOLTERSDORF