Eine historische Begegnung

Wo sich Axel-Springer- und Rudi-Dutschke-Straße schneiden werden, kämpfte 1968 die Studentenbewegung gegen „Bild“. Ein Plädoyer für eine rasche Umbenennung der Kochstraße

VON JÜRGEN KARWELAT

Der Name einer Straße ist nicht Angelegenheit der Anwohner allein. Ein Straßenname „überlebt“ seine Anwohner in der Regel. Diese Namen sind allgemeines Gut, in ihrer Symbolik sogar ein Kulturgut. Es ist Sache der demokratisch gewählten Gremien, Straßennamen zu bestimmen.

Ich freue mich schon auf den Tag, wenn aus der Kochstraße die Rudi-Dutschke-Straße wird, wenn die neuen Straßenschilder aufgestellt sind. Es wird dann eine weitere Straßenecke in der Stadt geben, an der Linien deutscher Geschichte hart aufeinander treffen und die widersprüchliche Geschichte Berlins sehr deutlich machen. Seit März 2000 trifft vor dem Brandenburger Tor die Straße des 17. Juni auf den damals neu benannten Platz des 18. März. Beide Namen erzählen vom Aufbegehren des Volkes gegen ihre Unterdrücker. Am 18. März 1848 kämpften die Berlinerinnen und Berliner auf den Barrikaden gegen den preußischen Militärstaat. Am 17. Juni 1953 gingen die Ostberliner Bauarbeiter auf die Straße, um sich gegen Lohndiktat und Erhöhung der Arbeitsnormen zu wehren. Zwei verwandte Ereignisse, die durch die Straßennamen miteinander in Beziehung gesetzt werden.

Was für eine Ecke deutscher Geschichte wird sich bald in Kreuzberg ergeben? Die Rudi-Dutschke-Straße wird auf der Höhe des Springer-Hochhauses auf die Axel-Springer-Straße stoßen. Wie könnte besser die Geschichte der Studentenbewegung und eines ihrer schärfsten Widersacher, Axel Cäser Springer mit seinem Zeitungsverlag, erzählt werden?

Am 11. April 1968 wurde auf Dutschke ein Attentat verübt. Elf Jahre später, an Weihnachten 1979, ist er an den Folgen dieses Attentats gestorben. Am Abend des 11. April 1968 machten sich die Studenten auf den Weg nach Kreuzberg in die Kochstraße, um hier vor dem Springerhochhaus zu demonstrieren. Nicht ohne Grund: Die Springerzeitungen trugen erheblichen Anteil an der Hetz- und Lynchstimmung gegen Dutschke und die Studenten. „Bild schoss mit“ hieß es auf den Plakaten. Gemeint war damit die moralische Mitverantwortung der Springerzeitungen an dem Attentat. Die Studenten blockierten auch die Auslieferung der Zeitungen. Hier am Springer-Verlagshaus hat sich eine wesentliche Episode der Studentenbewegung abgespielt.

Mit der Umbenennung des östlichen Teils der Kochstraße wird sich eine Straßenecke ergeben, die wie keine andere die Berliner Geschichte der 1960er-Jahre widerspiegelt. 1996 ist ein Teil der Lindenstraße in Axel-Springer-Straße umbenannt worden. Axel Springer (gestorben 1985) und Rudi Dutschke (gestorben 1979) standen bildlich gesprochen dies- und jenseits der Barrikade. Dort, wo die Axel-Springer-Straße auf die Rudi-Dutschke-Straße stoßen wird, können uns die Straßennamen drastisch und plastisch die Berliner Geschichte erzählen. Es ist eine gebrochene Geschichte, wie sie für die Stadt typisch ist.

Dutschke und Springer sind beide bedeutsame Personen der deutschen Zeitgeschichte. Ihr Schicksal ist untrennbar miteinander verbunden – obwohl sie extrem unterschiedliche Haltungen in der westdeutschen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts verkörpern. Der eine stand links, der andere rechts.

Die Antipoden

Es gibt jedoch auch Gemeinsamkeiten. Beide haben sich nie mit der deutschen Teilung abgefunden. Beide hätten sich sicher im November 1989 gefreut, als die 100 Meter von der Ecke Dutschkestraße/Springerstraße entfernte Mauer fiel. Wo könnte man besser Berliner und deutsche Geschichte erzählen als an dieser Straßenecke?

Ich hoffe, dass aus der Umbenennung keine Hängepartie wird. Anders als etwa in Wilmersdorf, wo es mehr als zehn Jahre brauchte, bis 2003 der Name des nationalsozialistischen evangelischen Theologen Reinhold Seeberg von den Straßenschildern am Seebergsteig verschwand. Heute ist die Straße nach der Wilmersdorfer Pädagogin Toni Lessler benannt, der Leiterin der „Privaten Jüdischen Schule Grunewald“. Sie emigrierte 1939 in die USA.

Anders auch als in Steglitz, wo der Streit um die Treitschkestraße schon fast 20 Jahre währt. Gerade ist der dritte Versuch in der konservativen Bezirksverordnetenversammlungen gescheitert, die Straße, die nach dem Historiker und Antisemiten Heinrich Treitschke („Die Juden sind unser Unglück“) heißt, umzubenennen.

Schon jetzt lassen sich die ersten Spuren des neuen Namens in der Kochstraße finden. Das taz-Café im heutigen Haus Nummer 18 trägt bereits öffentlich die beleuchtete Adresse „Rudi-Dutschke-Straße 23“. Einige Fallstricke in Form von Anwohnerklagen oder einem Bürgerentscheid gegen den neuen Straßennamen könnte es zwar noch geben. Die Geschichte kann dadurch für eine Weile aufgehalten, aber nicht verhindert werden.