zwischen den rillen
: Nehmen, was einem passt

Ihr Einfluss auf die heutige Popwelt ist klein, ihre Songs zeitlos: Drei Alben zum 80. Geburtstag von Hildegard Knef

Sie wäre nicht vollkommen, die Verwertungskette, würde der 80. Geburtstag von Hildegard Knef nicht von jeder Plattenfirma, der die Nachkriegsdiva jemals einen Zentimeter Band besungen hat, zum Anlass genommen, den Markt mit einem neuen Produkt zu sättigen. Und weil die Knef – für jemanden, der, wenn man Ella Fitzgerald glauben kann, eigentlich keine Stimme besaß – doch eine erkleckliche Menge Lieder hinterlassen hat, beginnen die Labels schon Wochen vor dem 28. Dezember, ihre Archive neu zu ordnen und schick verpackt anzubieten.

Auf zwei CDs versammelt „Schöne Zeiten“ sämtliche Singles bis 1979, darunter nahezu alle berühmten Gassenhauer wie „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“, „Eins und eins, das macht zwei“ oder „Von nun an ging’s bergab“. Vier CDs braucht „Ich bin den weiten Weg gegangen“, um die Sangeskarriere des Multitalents zu durchschreiten und dabei sogar auch einige Raritäten ans Licht zu befördern. Beide Sammlungen kommen daher mit ausführlichen Booklets, sind aber natürlich eher für Knef-Novizen geeignet als für Fans.

Wer aber – wie das kleine Hamburger Label Tapete – keinen Archivkeller voll mit Masterbändern des Originals hat, der muss sich anders behelfen. Und beauftragt den bundesdeutschen Popuntergrund, der Hilde zu huldigen. Das Ergebnis ist zweifellos die interessanteste Veröffentlichung zum Jubiläum: Auf „Ihre Lieder sind anders“ sucht die musizierende Enkelgeneration neue Zugänge zu einigen der ausgelutschtesten Klassikern – und findet sie bisweilen tatsächlich.

Manchmal ist die Motivation offensichtlich: Wenn Paula „Ich bin den weiten Weg gegangen“ interpretieren, wird das Image von Elke Brauweiler, deren Stil sich schon immer an den Filmdiven der Nachkriegszeit orientierte, endgültig in der Geschichte verankert. Wenn Cobra Killer sich „Tage hängen wie Trauerweiden“ annehmen, dann geht es dabei auch um weibliche Selbstermächtigung: Frau sein zu wollen, gefühlig sein zu dürfen und trotzdem selbstbestimmt, so wie die Knef es mitunter arg einsam und oft als Erste in der nachkriegsdumpfen BRD vorgelebt hat. Und wenn Justus Köhnke „Wieviel Menschen waren glücklich, dass Du gelebt?“ als ausfaserndes Experiment inszeniert, dann knüpft die Kopie an dasselbe Spiel mit Geschlechteridentitäten und Rollenklischees an wie das Original. Über die Qualität der Covers ist da noch nichts gesagt: Paula ist sehr gelungen, Köhnke arg angestrengt.

Meistens machen die Interpreten die Lieder der Knef einfach zu ihren eigenen. Was die Knef nicht stört, denn die ist tot, und aber auch den Liedern gar nichts anhaben kann, denn die sind zu gut, die können das vertragen. Tom Liwa etwa zerhackt „Mein Zeitbegriff“ so, wie er auch seine eigenen Kompositionen zerhackt. Auch Tilman Rossmy spielt „In dieser Stadt“ so lakonisch, wie er eben so seine Songs singt. Jan Plewka, der mit Selig und deren Breitwandrock einst zu Ruhm und Reichtum kam, zieht ausgerechnet die Dicke-Geigen-Nummer „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ nackig aus bis auf Stimme und Akkordeon.

Das alles hat seine Berechtigung, das meiste hört sich sogar tatsächlich gelungen an. Und nun könnte man behaupten, der deutsche Pop entdecke Hildegard Knef neu und weise ihr endlich ihren Platz im Pantheon der bundesdeutschen Pophistorie zu. Könnte man, aber seien wir mal ehrlich: Stände nicht der Achtzigste an und hätte Tapete nicht eine Rundmail verschickt, dürfte wohl die Mehrheit der Beteiligten niemals von selbst darauf verfallen sein, die Knef zu covern. Ihr musikalischer Einfluss auf das aktuelle Popgeschehen ist kaum messbar, und selbst die Bedeutung der Figur Knef als Rollenmodell ist beschränkt.

Natürlich kann man Paula oder Regy Clasen in derselben Traditionslinie wie Hildegard Knef verorten, aber vor allem beweisen die Neuinterpretationen eins: Die Knef konnte Zeitloses schreiben, ihre Texte funktionieren auch problemlos in heutigen Zusammenhängen. Oder, um wenigstens einmal die Hauptperson selbst zu zitieren: „Man blickt zurück und denkt an sich, an wen denn sonst / Fühlt sich nicht schlecht, man gibt sich Recht, ja was denn sonst.“

THOMAS WINKLER

Hildegard Knef: „Schöne Zeiten. Ihreunvergesslichen Singles“ (WSM/Warner), „Ich bin den weiten Weggegangen“ (Mercury/Universal).V. A.: „Hildegard Knef. Ihre Lieder sindanders“ (Tapete/Indigo)