Unabhängigkeit erfinden

Gegen den Trend zum globalen Kunstmarketing: Das „Büro Friedrich“, ein unabhängiger Kunstraum in Berlin, versucht in Peking die kunsttheoretische Werkstatt „Universal Studios“ durchzusetzen

Peking ist kapitalistisch, elitär, gnadenlos. Wer hier Non-Profit sagt, der wird für bekloppt gehalten

VON SASKIA DRAXLER

In China sei noch etwas möglich, meint Waling Boers, Betreiber des unabhängigen Kunstraums „Büro Friedrich“ in Berlin und nun auch, zusammen mit dem chinesischen Kurator und Produzenten Pi Li, Gründer der „Universal Studios“ in Peking. Die schöne Fabrikhalle ist abseits des Distrikts 798 gelegen, dem zum Kunstpark gewandelten Industrieareal im Norden der Stadt, und abseits ist hier nicht nur räumlich zu verstehen. In dem Pilotprogramm „Open Up – a New Space for Art“ geht es den beiden darum, im bestehenden Verkaufs- und Verwaltungschaos, das in China um die Marke „zeitgenössische Kunst“ ausgebrochen ist, eine Position zu finden, die so etwas wie „unabhängiges“ Arbeiten ermöglicht. Dies sei, so Waling Boers, durch die tendenziösen öffentlichen Fördermaßnahmen in Europa nicht gewährleistet. Sie seien an tagespolitischen Großthemen orientiert oder dienten, wie beispielsweise die Polenprojekte der Bundeskulturstiftung anlässlich der EU-Erweiterung, der Klimapflege diplomatischer Beziehungen.

Auch die chinesische Regierung erkennt seit ein paar Jahren das außenpolitische Marketingpotenzial aktueller Kunstproduktion und fördert sie seitdem. Der Beginn des Richtungswechsels lässt sich, laut Pi Li, auf die Ausstellung „living in time – zeitgenössische chinesische Kunst im Hamburger Bahnhof“ 2001 datieren, gefolgt von der Schanghai-Biennale 2002, die unter Mithilfe von Klaus Biesenbach zusammengestellt wurde. Daneben erlebt der private Handel mit zeitgenössischer Kunst in China einen rasenden Boom. Im letzten Jahr haben allein in Peking um die 70 neue Galerien eröffnet. Die Werke der meist völlig unbekannten „jungen chinesischen KünstlerInnen“ werden zum Auktionshaus gebracht und von den GaleristInnen selbst ersteigert, damit sie einen Marktpreis erhalten. Dadurch erscheint das Geschäft transparent und die Anlage für die Käufer als sicher und Gewinn versprechend.

Demgegenüber verstehen sich die „Universal Studios“ als Non-Profit-Versuchs- und Ausstellungsraum sowie als kunsttheoretische Werkstatt. In einer ersten Arbeitsphase wird zusammen mit den KünstlerInnen Monica Bovincini, Joep van Lieshout und den Architekten Zhu Pei und Ole Scheeren bis März 2006 das inhaltliche Programm sowie ein räumliches System für die leere Halle entwickelt, das wandelbar sein und eine bewegliche Position zwischen öffentlich und privat, innen und außen einnehmen soll. Monica Bovincini arbeitet dort mit hängenden transparenten Folien, die sie mit Filzstiftzeichnungen von Hochhausfassaden sowie Darstellungen heterosexueller Liebesspiele versehen hat, wobei die Vögelszenen und die Fassaden sich gegenseitig überlagern und eine zwischen innen und außen changierende transparente Ebene bilden.

Im gleichen Raum ist graffitiartig ein Aufruf des Architekten und Theoretikers Bernard Tschumi aus den Siebzigerjahren zu lesen, den Bovincini schon in einer früheren Installation, „Stonewall 3“, verwendet hat: „Architecture is the ultimate erotic act, carry it to excess.“ Diesmal ist das Wort „erotic“ aus dem Satz herausgelöst und auf ein Schild gesprüht, das ein chinesischer Bauarbeiter während der Eröffnung im November hochhalten musste, eine ironische Anspielung vielleicht, auf die Arbeiter, die Santiago Serra in seinen brachialen sozialen Plastiken gerne vorführt. Bovincinis Themen von Sex und Gewalt in der Architektur, der Durchlässigkeit von Körpergrenzen, des Angriffs auf sie und die damit zusammenhängenden S/M-Fantasien bürgerlicher Provenienz, die ihre installativen Designs oft prägen, finden in der neu erbauten Wolkenkratzerstadt Peking reichhaltiges Material. Währenddessen experimentiert Zhu Pei in der 1.100 Quadratmeter großen Haupthalle der „Universal Studios“ etwas leiser, mit skulpturalen Versatzstücken, die einmal zur Ausstellungsarchitektur werden könnten. Ihre eckigen Formen vermeiden nach dekonstruktivistischer Manier den rechten Winkel und stellen sich damit quer zur umgebenden Gesamtarchitektur. Sie fungieren als Innen- und Außenwände, Licht und Schattenmacher, Objekte und Displays gleichermaßen und könnten beides sein: multifunktional einsetzbar oder aber unberührbare Kunst, universal eben.

Was das sein kann, „ein neuer Raum für Kunst“, das steht wohl nicht nur in Peking zur Debatte. Waling Boers und Pi Li suchen nach einer Organisationsform, die größtmögliche konzeptionelle Autonomie bei zumutbaren finanziellen Arbeitsbedingungen bietet. Sie beziehen sich dabei auf ein westlich geprägtes Kunstraumkonzept, das ursprünglich aus den Sechzigerjahren stammt, als die künstlerische Avantgarde begann, „Kunsträume“ als Freiräume jenseits des Terrains von öffentlichen Institutionen und kommerziellen Galerien zu gründen. Dies scheint im Maßstab von über 1.000 Quadratmeter am ehesten mit internationalen Sponsoren möglich zu sein. Durch solche sei der Betrieb der „Universal Studios“, so Boers für die nächsten Jahre prinzipiell auch abgesichert.

Darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen, dass KünstlerInnen von Fall zu Fall auch bei Verkäufen vertreten werden oder dass man für einzelne Projekte öffentliche Förderung beantrage. Das freie Agieren auf vielen Feldern, könnte die offensive Strategie sein, die es ermöglicht, nirgends vereinnahmt zu werden, weniger krisenanfällig zu sein und damit einen Raum zum sachzwangfreien Denken offen zu halten. Man möchte es glauben. Peking ist krass kapitalistisch, elitär, gnadenlos. Wer hier Non-Profit sagt, den hält man für bekloppt.