Rollstuhl oder Rolls-Royce

Spannend resümiert das „Schwarzbuch Öl“ die erste Halbzeit des Ölzeitalters – von den Anfängen des Petrokolonialismus bis zu „Peak-Oil“, dem Höhepunkt der globalen Ausbeutung

VON MANFRED KRIENER

Der 29. Mai 1933 war ein Jahrtausendtag. Für die Manager von Standard Oil war es der wichtigste Tag der Unternehmensgeschichte. An jenem 29. Mai erhielt die US-Firma vom Königreich Saudi-Arabien die Konzession zur Exploration und Ausbeutung von Öl. Der lächerliche Preis: 275.000 Dollar. Ibn Saud, der Herrscher des Reichs, war nicht nur zufrieden, er war begeistert über seinen Coup. Den Amis, davon war er fest überzeugt, hatte er ziemlich teuren Wüstensand verkauft. Dass sie darunter Öl finden würden, hielt er für ausgeschlossen. Doch schon sechs Jahre später, wieder im Mai, öffnete der König das Ventil einer Rohrleitung: Das erste saudische Öl floss in die Tanks der Amerikaner.

Saudi-Arabien, das Land mit den größten Ölreserven der Erde, war „onstream“. Weitere 66 Jahre später, am Jahresende 2005, hängt die gesamte Weltwirtschaft am Tropf der Saudis. Die Dynamik der Unersättlichkeit hat dafür gesorgt, dass ziemlich genau die Hälfte der weltweiten Ölvorräte verbraucht sind. Ohne Öl aus Saudi-Arabien würden die Industriegesellschaften kollabieren.

Thomas Seifert und Klaus Werner analysieren in ihrem „Schwarzbuch Öl“ die Jahre von den frühen Ölfunden in Nahost bis heute. „Eine Geschichte von Gier, Krieg, Macht und Geld“ heißt es ein wenig heftig im Untertitel. Natürlich stimmt das alles – gerade deshalb sollte man eher leisere Töne anschlagen, um das Buch unter die Leser zu bringen. Verdient hat es die schwarze Schwarte allemal. Dass sie vom Verlag mit einem Vokabular angepriesen wird, das an alte DKP-Wälzer erinnert – „die schmutzigen Geschäfte mit dem schwarzen Gold“ etc., – schmälert nicht die Bedeutung und dramatische Aktualität des Buches. Es ist streckenweise ziemlich süffig geschrieben und knistert vor Spannung. Aber es ist nie unseriös.

Die Aktualität, das sind jene Jahre 2005/2006, die womöglich einmal als die Wendejahre des Ölzeitalters betrachtet werden: die Jahre, in denen die Weltölproduktion ihren höchsten Stand erreicht. Vielleicht haben aber auch die Optimisten recht, die den berühmtem „Peak“, also die Spitze der Produktion, erst um 2010 erwarten. Doch auch dann steht das Ende der ersten Halbzeit des Ölzeitalters unmittelbar bevor.

Und die zweite Halbzeit, da zumindest sind die Experten einig, wird ziemlich schnell ziemlich ungemütlich. Dann wird mit steigender Nachfrage, aber fallenden Förderquoten der Ölpreis die Endlichkeit der Ressource und den Kampf um jedes Barrel widerspiegeln. Die geförderte Ölmenge geht dann jedes Jahr um etwa zwei Prozent zurück. Entscheidend ist also nicht die Reichweite des Öls, sondern die Fördermenge, die dem Bauch der Erde täglich abgerungen wird. Und die hat ihren Höhepunkt bald überschritten. Es geht hier nicht um vulgärapokalyptische Visionen. Es geht ganz schlicht um die Marktgesetze von Angebot und Nachfrage und die Frage: Was passiert, wenn der Ölbedarf immer größer wird, das Angebot aber nicht mitwachsen kann, weil die Opec schon jetzt am Limit pumpt?

Im fünften Kapitel ihres Buchs liefern die Autoren eindrucksvolle Zahlen, die drastisch die aktuelle Lage und das Erwachen des chinesischen „Petrodrachens“ illustrieren. Vor 1980 existierten in China kaum Privatautos. Heute besitzt jeder 63. Chinese ein eigenes Fahrzeug. Und wenn der Autobesitz auf amerikanische Verhältnisse klettert? „Dann würde China rund 88 Mio. Barrel täglich verbrennen, mehr als die derzeitige (kaum noch steigerungsfähige!) Weltölproduktion von 80 Mio Barrel“, so die Autoren.

Die Weltölproduktion entspricht dem täglichen Transport eines 2.600 Kilometer langen Güterzugs. Man muss sich, um das Gruseln zu kriegen, allerdings kein utopisches Szenario ausdenken. Auch die normalen Wachstumsraten, von denen die Wirtschaftsseiten unserer Zeitungen schwärmen, reichen vollkommen aus. 2001 kauften die Chinesen 2,3 Millionen Autos, 2006 werden es mehr als 6 Millionen sein. Zum Vergleich: Ganz Europa kaufte 2004 rund 14,5 Millionen Autos.

Die Endlichkeit des Öls und die dramatischen Konsequenzen daraus sind allerdings nicht das Hauptthema von Seifert und Werner. Ihr Schwarzbuch ist eigentlich ein historisches Buch, das den Ölkolonialismus der Industrieländer im Nahen Osten und in Zentralasien beschreibt. Mit den täglichen Bildern des Irakkriegs im Kopf, gewinnt die Lektüre dieser Ölhistorie an Wucht. Sicher, man weiß: die Kriege im Irak, in Kuwait, im Iran, in Aserbaidschan waren „auch“ Kriege ums Öl. Genau dieses „Auch“ treiben uns die Autoren aus – ohne jedes verschwörungstheoretische Raunen.

Nackte Ressourcen- und Geopolitik wird sichtbar, gespickt mit hübschen Details. Zu den schönsten gehören die Geschenke der Ölinvasoren: Roosevelt empfing Ibn Saud auf einem Schiff. Der König wollte selbstverständlich eine kleine Schafherde mit an Bord nehmen. Auch seine Zelte ließ er dort aufschlagen. Roosevelt schenkte ihm einen seiner eigenen Rollstühle und ein Flugzeug, Saud war entzückt. Churchill machte den unverzeihlichen Fehler und schenkte einen Rolls-Royce mit dem Lenkrad rechts. Da der König stets vorne sitzt, hätte er neben dem Chauffeur auf der linken, nach islamischer Vorschrift der falschen Seite sitzen müssen. Die Luxuslimousine blieb unberührt in der Garage. Die Amis machten das Rennen.

Thomas Seifert, Klaus Werner: „Schwarzbuch Öl. Eine Geschichte von Gier, Krieg, Macht und Geld“. Deuticke Verlag, Wien 2005, 272 Seiten, 21,50 Euro