JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Bloß nicht den Spaß verderben!

Russisch Roulette oder Spießertum: Die schwule Parallelgesellschaft hadert gerade schwer mit sich selbst

Neulich meinte ein Bekannter, nachts, die Musik von Curtis Stigers entsetzlich laut, über ein Weizen im „Prinzknecht“ gebeugt: „Also, die türkischen Schwuppen, super, krass, mmh, aber die machen das ja nur ohne Kondom.“ Irgendwas hat mich an diesem Satz nach drei Minuten irritiert. War ja nicht rassistisch gemeint, eher wie ein Zopf an Eindrücken am Ende ethnologisch gesammelter Erfahrungen. In seinen Augen nämlich flatterte zwar ein Schimmer von Sorge, sich anzustecken, andererseits, sehr andererseits nach drei Schlucken Leitungswasser nach viel zu viel Gin-Tonic, sah er aus, als beschriebe er jene Gruppe, die man ja selten trifft in homosexuellen Lokalen, mit einer gewissen Faszination. Von wegen: Die machen was Verbotenes, brechen ein Tabu – und scheren sich einen Dreck um die Folgen.

Dabei hätte ein kurzer Besuch im Darkroom jenes Etablissements gereicht, um seine Aussage als reine Verlagerung eigener Ängste und Gelüste auf eine Gruppe zu deuten, die er womöglich selbst als triebhaft, wild und entschlossen, also klasse, kostbar und wertvoll imaginiert. Im Dunkelraum, jedenfalls, musste folgender Dialog zur Kenntnis genommen werden: „Ey, können wir nicht zu dritt?“ Der Klang des Satzes atmete rheinischen Dialekt, was durch den zweiten Satzfetzen beglaubigt wird: „Du bist schon echt ’ne scharfe Nummer.“ So spricht man in Köln. Der dritte Kerl, im Halbschummer als ein Mann im Holzfällerhemd erkennbar, Schnauzbart und ein Lederarmband am linken Unterarm, der grunzte schließlich zufrieden und sagte: „Aber ohne, klar, wa!“ Kein Fragezeichen nötig, war ja ’ne Feststellung. Und dann erwiderten beide rheinischen Touristen: „Ne, ohne Kondom geht das nicht.“ Aber der Berliner, ganz weltläufig, sehr Nabel der Welt, sehr im Einklang mit seiner Heimat, kläffte nur knapp zurück: „Wat’n, Kondom? Und wat macht ihr in der Hauptstadt? Nich mit mir, wa.“

Und das ließ sich doch sehen, der voll abgedimmten Atmosphäre zum Trotz: Wie türkische Schwuppen sahen sie nicht aus. Schwuppen, das muss man vielleicht erklären, ist die Nachfolgebezeichnung Homosexueller, wenn sie sich unter sich oder unter Freunden wissen, für die Selbsttitulierung als schwul – klingt gemütlich, jovial und bodenständig. Anders als schwul, das Wort mit dem Beiklang von Protest und Behauptungswillen. Schwuppe, das ist die Vokabel für die Etablierten: das Selbstverständliche nicht auch noch politisch vergiften oder infizieren.

Jedenfalls hadert diese Parallelgesellschaft gerade schwer mit sich selbst. Berlin ist das Dorado der Gelangweilten – und was verspricht den besten Kick? Eben. Sex als Roulette der suizidal angehauchten Art. Kann ja nix schief gehen. Die Neuinfektionszahlen sprechen zwar dagegen, sie sind höher als noch vor Jahren, und wer dies hervorhebt, trägt sich leicht einen Verdacht ein, der schlimmer wiegt als jener, eine vorsätzliche Virenschleuder zu sein: den des sexuellen Spießers. Wer kondomisiert, hat schon lifestyletechnisch verloren – und riskiert besser nicht, auf Sexpartys erkannt zu werden. Heute haun wir auf die Pauke? Klar, aber nicht mit Leuten, die den Spaß verderben.

Und dessen soll man sich bewusst werden? Besser nicht; sexuelle Einsamkeit ist schlimm, aber noch mieser ist, über sie zu reden. Das hieße ja, über Promiskuität zu zu sprechen, über den Wahn, 30 Männer im Monat zu brauchen, dringend, jetzt, sofort, eilig, gleich. Na, das verschweigt man lieber. Man feiert den eigenen Lifestyle, hält Treue für einen psychischen Begriff und keinen, der sich in Kunst übt, mit einem einzigen Mann erotisch über die Runden zu kommen. Da projiziert man das Problem auf die Homosexuellen, die aus der türkischen Community stammen. Schwer genug, sich Zwangsverheiratungen oder gar väterlichen Schlägen zu widersetzen.

Heiligabend in Neukölln. Ein Schwuppenlokal. Saß da ein Mann, der doch sehr türkisch aussah, also nix mit Bethlehem und Jingle Bells. Und der sprach dann gleich zur Sache: „Ey, Alta, isch ‚xxx‘ disch. Aba nur mit Gummi, wa?“ Und dann noch von ihm der Satz: „Meine Mutter würde heulen, hätte ich Aids.“

Fragen zu Schwuppen? kolumne@taz.de Samstag: Bettina Gaus über FERNSEHEN