Ein Freiraum im hintersten Winkel des Kellers

Bei der 22. Jahrestagung des Chaos Computer Clubs treffen sich die unterschiedlichsten Technikfreaks. In der Menge der Nerds finden sich nur wenige Frauen. Damit sie nicht untergehen, haben sie sich als Haecksen zusammengeschlossen. Der Verein bietet computeraffinen Frauen eine Anlaufstelle

VON HEIKE SCHMIDT

Es ist dunkel in der Art-&-Beauty-Area. An kleinen runden Tischen spielen junge Männer konzentriert Go, ein japanisches Brettspiel. Eine große Menschentraube steht um einen Haufen von Fahrradschlössern. Auf einem Monitor wird übertragen, wie ein junger Mann ein Schloss mit wenigen Handbewegungen knackt. Internationales Stimmengewirr wabert durch den großen Raum im Erdgeschoss des Berliner Congress-Centrums (BCC). Der Chaos Computer Club (CCC) hat sich zu seinem 22. Jahrestreffen eingefunden.

Der Verein, der sich selbst die „Freiheit von Information und Kommunikation ohne jegliche Zensur“ auf die Fahnen schreibt, wird im Volksmund meist Hackerclub genannt. Nur was hat Go-Spielen und Fahrradschlossknacken mit Hacken zu tun? „Hacken heißt, Technik anfassen und hinterfragen, Hindernisse überwinden. Das kann auch konkret passieren, indem man etwas anfasst“, erklärt Maik Musall, Leiter des Presseteams des CCC. Auch das Publikum sei bunt gemischt, vom klassischen Datenhacker bis zum interessierten Laien fänden die verschiedensten Gruppen in das BCC.

Nur das Verhältnis der Geschlechter ist nicht so ganz ausgewogen. Die Art-&-Beauty-Area im Erdgeschoss ist der Ruhebereich der Veranstaltung. Gerade einmal drei Frauen sind hier zu finden. Und die stehen als Bedienung hinter der Theke. Auch in den anderen Bereichen des Kongresses, wie den Vortragssälen oder dem Hackercenter, kann man die weiblichen Wesen an einer Hand abzählen.„Wir haben hier einen Frauenanteil von vielleicht zehn Prozent“, sagt Pressekoordinator Musall. Gefühlt liegt der Wert weit darunter.

„Ich habe mich bei meinem ersten Besuch hier sehr verloren gefühlt unter all den Männern“, erzählt Princess, die im analogen Leben Andrea Wardzichowski heißt, „und ich war froh, dass ich mit den Haecksen meine Anlaufstelle hatte.“ Genau die wollen die Haecksen bieten. 1988 wurden sie von Rena Tangens gegründet. Die Medienpädagogin und Künstlerin litt darunter, dass sich insbesondere im technischen Bereich „Männer immer reindrängen“. Sie wollte mit dem Club ausschließlich für weibliche Computerinteressierte „klare Grenzen ziehen“. Mittlerweile gibt es 85 Haecksen im deutschsprachigen Raum, etwa zehn davon aus Berlin.

Auch 2005 ist es den Haecksen wichtig, aus der Masse der Freaks herauszustechen. „Wir sind kreativ und sozial, das wollen wir auch demonstrieren“, sagt Yella Cremer, Informatikstudentin aus Berlin. „Wir sparen eben nicht nur auf das nächste, größte Notebook“, ergänzt Andrea, die als Systemadministratorin bei einem Internetprovider arbeitet.

Fernab vom eintönigen Tastenklappern im Hackercenter liegt der Stand der Haecksen im hintersten Winkel des Kellers des Kongresszentrums. „Hier sind wir unter uns und können auch das fragen, was man in gemischter Runde für peinlich hält“, erklärt Martina Wagner. „Männer und Frauen haben einfach unterschiedliche Herangehensweisen an Technik. Ich kann und will sie nicht werten – sie sind aber verschieden. Und den Platz für die weibliche Herangehensweise, den wollen wir hier schaffen – ohne blöde Blicke“, fasst Cremer zusammen.

Übersehen werden die Haecksen von der Männermehrheit jedoch nicht. Dafür haben sie mit diversen Aktionen schon selbst gesorgt: Jedes Jahr versuchen die verschiedenen Gruppierungen, beim CCC-Jahrestreffen mit einem besonderen „Hack“ für Aufsehen zu sorgen. Da werden Sicherheitslücken aufgedeckt und brisante Informationen publiziert. Je aufsehenerregender, desto besser. Die Haecksen haben mit ihren Mitteln zurückgeschlagen. 1988 ließen die Gründerinnen einen Temperaturcomputer zur Empfängnisverhütung auf der Toilette zurück. Wie erhofft, führte dieser Gegenstand zu größter Verwirrung unter den männlichen Computerfreaks. Hat da jemand ein neues Mininotebook? Hört uns die CIA ab?

Nachdem die Haecksen den „Irrtum“ auf der Abschlussveranstaltung des Jahrestreffens aufgeklärt hatten, hatten sie die Lacher und den Respekt auf ihrer Seite. Damit das so bleibt, planen sie auch jetzt schon am „Hack“ fürs nächste Jahr. Ihre Ideen sammlen sie, fein säuberlich aufgeschrieben und von Hand gezeichnet, in einem Vorhang mit Einstecktaschen. Für jede Haeckse zugänglich. „Unser Symbol für ein reales Netzwerk zum Anfassen, für den Austausch ganz ohne Kabel“, so Wagner. Damit unterscheiden sich die Haecksen deutlich von der restlichen Veranstaltung, auf der der Kabelsalat dominiert und weit und breit kein Stift zu sehen ist.