„Bayern will den Rechtsstaat light“

Mit seinem neuen Polizeigesetz ermöglicht der Freistaat das vorbeugende Abhören von Telefonen ohne Verdacht auf eine konkrete Straftat. Der SPD-Politiker und Rechtsexperte Klaus Hahnzog will dagegen beim Bundesverfassungsgericht klagen

INTERVIEW MAX HÄGLER

taz: Herr Hahnzog, sie werden in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) einreichen, das gestern in Kraft getreten ist. Warum?

Klaus Hahnzog: Weil die Polizei danach auch aus unbestimmtem Anlass Telefone präventiv abhören kann. Damit wird das Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses verletzt, das aus Artikel 10 des Grundgesetzes hervorgeht.

Es gab bereits zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu sehr ähnlichen Fällen. Zuletzt wurde im Juli 2004 ein niedersächsisches Gesetz gestoppt. Reichen diese Entscheidungen nicht aus?

Wenn die bayerische Staatsregierung klug gewesen wäre, hätte sie das Gesetz zurückgezogen, vor allem mit Blick auf das Niedersachsen-Urteil. Sie meint aber, mit allerlei kosmetischen Änderungen dieses Urteil umgehen zu können.

Der bayerische Innenminister möchte mit dem Gesetz ganz konkret Terroristen und Kinderschänder noch vor ihrer Tatausführung erwischen. Das klingt doch redlich.

In den zwei Experten-Hearings im Landtag haben bayerische Staatsanwälte und Richter klar gesagt: Wir brauchen das nicht. Denn gerade im Bereich des Terrorismus und anderer Verbrechen ist der Begriff der Strafbarkeit bereits umfassend – und ermöglicht Abhören etwa bereits im Stadium der Verabredung.

Was ist dann der Grund für das Gesetz, wenn die präventive Terrorismusabwehr bereits jetzt gewährleistet ist?

Der Wunsch, der hinter dem Gesetz steht, ist das Ausschalten der Staatsanwaltschaft, die bisher stets über Abhörmaßnahmen mitentscheidet – und durchaus oft ablehnt. Die deutsche Staatsanwaltschaft wird nicht umsonst die objektivste Behörde der Welt genannt, sie stellt die Hälfte aller Verfahren ein. Die bayerische Staatsregierung und die CSU wollen eben einen Rechtsstaat light, der die Anwendung der bereits bestehenden Möglichkeiten vereinfacht.

Wer ist noch an der Kontrolle der Abhöraktionen beteiligt?

Nur noch der Richter, und wenn Gefahr im Verzug ist, kann die Polizei fürs Erste auch ganz allein abhören. Das klingt rechtsstaatlich, aber wir kennen die Zahlen von der bisherigen repressiven Überwachung: Knapp 30.000 Abhörfälle in Deutschland mit insgesamt mindestens einer Million einzelnen Gesprächen gibt es jährlich. Und jetzt soll noch mehr abgehört werden – das kann nicht rechtsstaatlich sein. Die Freiheit stirbt zentimeterweise: In den letzten Jahren hat sich der Paragraf 100 der Strafprozessordnung bis auf Paragraph 100i gedehnt, weil immer neue Möglichkeiten eingebaut wurden. Wir müssen die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit beachten.

Viele Bürger geben aber der Sicherheit den Vorzug. Sie sagen: Ich bin unbescholten, mir kann es egal sein, ob mich die Polizei abhört.

Wenn viele Informationen gesammelt werden, kann auch der unschuldige Bürger negative Folgen zu spüren bekommen. Ein Beispiel ist die ehemalige bayerische Familienministerin Barbara Stamm: Vor einer Wahl wurde versucht, ihr einen Skandal anzuhängen, weil sie im Kriminalaktennachweis verzeichnet ist. Die Information hatten wohl innerparteiliche Gegner der Presse gesteckt – und sie war auch richtig. Ein Arbeitsloser hatte sie wegen Rechtsbeugung angezeigt, diese Strafanzeige kam dann in das Register. Der Fall wurde eingestellt, die Information aber versehentlich nicht aus der Datenbank gelöscht. Aber es geht nicht nur um die verfassungsmäßig geschützte Privatheit. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass die unbefangene Kommunikationsfreiheit zu den Grundlagen der Demokratie gehört.