Fresst mehr Mozartkugeln!

Sie haben es vielleicht schon bemerkt: 2006 ist Mozartjahr. Und alle regen sich über Mozartkugeln, Mozart-Milchshakes, Mozart-Badetücher, kurz: das schlimme Mozart-Merchandising, auf. Wir nicht

VON JAN FEDDERSEN

Kurz vor Jahresende, das Finale der „Tagesthemen“, gern an dieser Stelle ein bunter Beitrag aus der Welt der Kultur. Und es wurde ein Stück gegeben, das auf unerschrockene Weise sich die Haltung von Freunden der Hochkultur zu Eigen machte – und zwar am Beispiel eines Jubiläumsjahres, das vorgestern begann: das zum 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart. Es war eine Piece des unverborgensten Hochmuts, eine Feuilletonhervorbringung sonderbarster Art: Beklagt wurde, dass man Mozart gar nicht genießen könne, man werde, ängstliches Sprechertimbre, seiner Musik überdrüssig. Und obendrein werde des Österreichers Oeuvre kaputtgeschrummelt, ja die Idee Mozart als solche zerstört durch das grässliche Merchandising, das um ihn herum entfaltet werde.

Nun, dann war die Rede nicht allein von Mozartkugeln, sondern von Milchgetränken, Brotaufstrichen, Biersorten, anregenden Heißgetränken (Früchtetee als „Papagenos Mischung“) wie Joghurts sowie, wenn die Erinnerung nicht trügt, von einer Edelsalami in Geigenform, welche je zur Hälfte aus Schweine- und Rindfleisch besteht und mit Muskatnuss und Pistazien gewürzt und geschmacklich in Schwung gebracht wird.

Was aber ist an diesen Erzeugnissen sträflich, was am Zustand der Verwobenheit von Werk und Warenförmigkeit so empörend – was also motivierte diesen Beitrag, Hochkultur wie Hochnase zu buchstabieren? Pierre Bourdieu würde vielleicht sagen: Da fühlen sich die bürgerlichen Stände provoziert, dass einer aus ihrem Kanon profaniert wird.

Mozart – ein Popstar

Das aber würde mit Komponisten wie Schostakowitsch, Schönberg, Weill oder Ligeti niemals passieren: Denn Mozart war ein Popstar avant la lettre, ein frühes Günstlings- und Missgünstlingskind des austrischen Adels – ein Mann, der jede Pisa-Studie in den Keller gepunktet hätte (nie eine Schule besucht) und doch magische Musik fantasiert und zu Notenpapier gebracht hat. Und seine Musik … schwierig, bezaubernd, komplex: und doch verführerisch nur deshalb, weil sie leichtohrig daherkam.

Mozart, in Milos Formans Film „Amadeus“ durfte man dies am Neujahrsabend studieren, war der letzten Forschung nach ein Komponist, der ein Leben aus dem Vollen schöpfte, der das Leben in Dur verpackte und selbst das Moll zartfühlend wegweisend klingen ließ. Das prädestinierte ihn, besser: sein Werk, natürlich, früh zur Benutzung durch klassenspezifisch Unbefugte. Wie sagte der genialische Dirigent Nikolaus Harnoncourt: „Mozarts Publikum reichte schon immer vom Fürsten bis zur Putzfrau.“

Zutreffend, diese Skizze, man lese nur die Spielpläne der Philharmonien oder der Programme der Kurmuschelorchester der Republik. Und die einen lassen sich auf Mozart nicht unter dem Dirigat Karajans oder Celibidaches ein, die anderen goutieren derweil „Eine kleine Nachtmusik“ nach der allenfalls werknahen Spielweise André Rieus. Dritte wiederum entflammten in Liebe zu Mozart, nachdem sie die chronisch sängerisch unbegabte Florence Foster Jenkins und deren trillernd-angestrengte Fassung der „Zauberflöten“-Arie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ in der Carnegie Hall von New York hörten.

Dass alle ihn mögen, wenigstens einiges von ihm kennen, dass er spielfilmtauglich ist, spricht dafür, dass Mozart kein Jubiläumsjahr braucht. Er ist einfach immer da, seine Musik, seine Klänge: Man erkennt sie quasi auf der Haut sofort – ein Wohlklang durch und durch, selbst in einem ja traurigen Requiem.

Aber weshalb sollte die Salzburger oder Wiener Tourismusbehörde auf eine Gelegenheit zur Vermarktung verzichten? Sie sind ja gar inkonsequent. Wo bleibt der Mozartfreizeitpark? Ein Areal wie ein Disneyland – nur dass man sich keine Mickey-Mouse-Masken aufsetzt, sondern fett gepuderte Allongeperücken aufstülpt? Erlaubt wäre es, selbstverständlich, denn es gibt kein Copyright mehr, das die Marke Mozart schützt.

Golfball-Set „Mozart“

Und ebendies mag die grellste Strafe für die Freunde eines hochkulturellen Reservats sein: dass sie nichts, gar nichts machen können. Dass ihnen also nichts erspart bleibt, nicht einmal das Golfball-Set „Mozart“.

Amerikaner wären nicht so zimperlich. Kommerz und Kultur wird drüben in eins gedacht – nur die Eliten des Alten Kontinents glauben, dass Geld die Kunst verdürbe. In Wirklichkeit weiß doch inzwischen jeder Museumsdirektor: keine Besucher, die nicht am Ende den Museumsshop besuchten. Dort dürfen Andenken gekauft werden: allzu menschlich, das.