„Körtings Entscheidungen sind Gnadenakte“

Die Neuregelung der Härtefallkommission vor einem Jahr habe die Lage der Flüchtlinge kaum verbessert, sagt Walid Chahrour vom Flüchtlingsrat. Die Behandlung der beiden Kameruner sei ein Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention

taz: Herr Chahrour, hat die Neuregelung der Härtefallkommission die Lage der Flüchtlinge in Berlin verbessert?

Walid Chahrour: Nein, nicht insgesamt, aber es ist ein Anker. Wenn alle Stricke reißen, kann man noch mal versuchen, die Härtefallkommission anzurufen. Ein Drittel der Fälle, in denen sich die Kommission in der Regel einstimmig für ein Bleiberecht ausspricht, werden dann aber vom Innensenator doch abgelehnt. Das ist nicht nachvollziehbar.

Wo lässt Senator Körting denn Milde walten?

Körting sagt, er möchte gerne Kindern und Jugendlichen, die hier sozialisiert sind und denen eine Rückkehr nicht zumutbar ist, einen Aufenthalt gewähren. Aber das ist nicht erkennbar. Im Falle der beiden Jugendlichen aus Kamerun, die wegen der Straffälligkeit ihrer Mutter abgeschoben werden sollen, tut er das nicht. Es wurden auch andere Anträge von Familien mit Kindern abgelehnt, wo wir die Entscheidung nicht nachvollziehen können. Wenn beispielsweise die Kinder die Sprache des Herkunftslandes gar nicht beherrschten.

Wie beurteilen Sie Körtings Begründungen?

Seine Begründung für Ablehnungen ist immer: Man kann nicht alle Menschen hier aufnehmen. Einerseits zeigt er sich als liberaler Politiker, der das Problem kennt und gerne lösen möchte, und gleichzeitig zeigt er sich als Hardliner. Er sagt zum Beispiel, die Bevölkerung sei nicht für ein allgemeines Bleiberecht für Flüchtlinge. Aber man kann auch die Bevölkerung sensibilisieren und ihr klar machen, dass es eine Notwendigkeit ist, Lösungen für Flüchtlinge und Illegale zu finden. Warum soll in Deutschland nicht gehen, was in Spanien funktioniert?

Würden Sie dafür plädieren, dass jeder, der einmal hier ist, bleiben darf?

Grundsätzlich würde ich sagen: ja. Machen wir einen Strich und sagen, die Menschen, die hier sind, sollen hier in Ruhe leben können. Das ist besser, als sich immer als der gute Mensch zu präsentieren, der sagt: Hier entscheide ich positiv, und hier muss ich negativ entscheiden, um die Balance zu halten. Dadurch wird Körtings Entscheidung zu einem Gnadenakt.

Haben jugendliche Flüchtlinge eigentlich die gleichen Rechte wie deutsche Jugendliche?

Nein. Sie sind in vieler Hinsicht benachteiligt. Die Schulpflicht endet für sie mit 16, für deutsche Jugendliche erst mit 21 oder dem ersten Abschluss. Eine Ausbildung machen, studieren, das darf längst nicht jeder. Da könnte man noch stundenlang Beispiele aufzählen. Der Fall der Geschwister aus Kamerun zeigt noch eine andere Benachteiligung: Eigentlich müssen ausländische Jugendliche mit spätestens 16 Jahren einen von den Eltern unabhängigen Aufenthaltstitel beantragen. Aber in diesem Falle wird ihr Aufenthalt von dem der Mutter abhängig gemacht. Dabei können die Kinder nichts dafür, dass die Mutter straffällig geworden ist. Sie bräuchten jetzt die Fürsorge des Staates. Das ist eigentlich ein Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention.

INTERVIEW: ALKE WIERTH