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: „Jean Seberg - American Actress“ / von Donatello & Fosco Dubini

Mit ihrem Haarschnitt begannen die 60er Jahre! Nachdem sie 1959 in „Außer Atem“ mit ihren kurzen blonden Haaren, T-Shirt und engen Latexhosen auf dem Champs-Élysées den „New York Herald Tribune“ verkaufte, liefen nicht nur die jungen Französinnen zu ihren Friseuren und verlangten „La coupe Seberg“. Mit dieser einen Rolle der jungen Amerikanerin in Paris wurde Jean Seberg zur Verkörperung der modernen, befreiten Frau. Obwohl sie selber später kräftig am Mythos um Godards Debütfilm mitstrickte, war sie bei den Dreharbeiten eher pikiert über diesen jungen europäischen Anfänger und seine chaotische Arbeitsweise. So erzählt es der damalige Kameramann Raoul Coutard in einer der wenigen amüsanten Szenen dieser Dokumentation, denn ein paar Minuten später schwärmt die Seberg selber in einem Interview aus den 60er Jahren über die intime Atmosphäre, die damals zwischen ihr Belmondo und Godard herrschte, und die sie bei den großen Studioproduktionen so sehr vermissen würde. Dabei fehlte ihr wohl eher der Erfolg, denn nach „Außer Atem“ hat sie nie wieder einen Kassenschlager gedreht und davor galt sie nach zwei Flops in Hollywood schon als Kassengift.

Entdeckt wurde die Apothekerstochter aus Marshalltown, Iowa von Otto Preminger, der sie aus 18000 Bewerberinnen für die Rolle der heiligen Johanna in seinem Film „Saint Joan“ auswählte, und dann nicht nur ihre Haare zurechtstutzte. Der aus Wien stammende Regisseur galt als Tyrann, und man kann man im Film seinen Spitznamen „The Führer“ sowohl mit englischem wie auch mit französischem Akzent ausgesprochen hören, denn alle Zeitzeugen waren sich einig darüber, dass er die damals sehr zerbrechlich und unschuldig wirkende Schauspielerin übel geschunden hat. Auch sein zweiter Film mit ihr „Bonjour Tristesse“ war ein Flop, aber es reihte ja schon, dass sie Godard darin gefiel. So machte das im Grunde uramerikanische Mädchen dann in Europa Karriere, und diese Entwurzelung führte langfristig zu großen seelischen Konflikten und einem tragischen, frühen Tod. An dieser Geschichte hatten die beiden Schweizer Filmemacher Donatello und Fosco Dubini in ihrer Dokumentation „Jean Seberg: American Actress“ mehr Interesse als am Starrummel und Glamour, und deshalb erzählen sie viel ausführlicher über ihren Niedergang als über ihren kurzen Triumph. In den 60ern war Jean Seberg zwar ein gutbezahlter Filmstar, der neben Warren Beatty und Clint Eastwood arbeitete, aber es ist bezeichnend, dass der Höhe- und Schlusspunkt ihrer Karriere dann eine Rolle in dem Katastrophenfilm „Airport“ war.

Privat waren ihr Lebensstil und ihre politischen Ansichten viel zu fortschrittlich und europäisch für das amerikanische Establishment, und so wurde sie, nachdem sie sich für die Black Panter Bewegung engagierte, vom FBI überwacht und mit einer Schmutzkampagne überzogen, die ihre Karriere zerstörte. Nach glücklosen Ehen und chaotischen Beziehungen wurde sie auch psychisch immer labiler und starb 1979 unter mysteriösen Umständen. So wird der Film im letzten Drittel zunehmend zu einem Verschwörungsszenario, bei dem die Filmemacher unter anderem den damaligen Leibwächter von Jean Seberg und einen damaligen Black Panther ihre Theorien zu ihrem Tod ausführen lassen. Da wird dann ein wenig zu ausführlich darüber gerätselt, warum das Auto mit ihrer Leiche erst zehn Tage nach ihrem Verschwinden gefunden wurde, oder ob ihr die tödliche Mischung aus Alkohol und Medikamenten nicht doch eingeflösst wurden. Aber wer genau hinsieht, erkennt, dass die letzten Filmaufnahmen von Jean Seberg eine traurige, müde Frau am Ende ihres Lebens zeigen. „Das Kino sieht den Menschen bei Sterben zu“, hat Godard einmal gesagt, aber auch das Gegenteil stimmt, wenn Jean Seberg in seinem Film ewig schön und jung bleibt. Im Kino 46 kann man sie deshalb am Wochenende gleich nach diesem berührenden Filmportrait auch noch mal in seinem „Außer Atem`` sehen. Wilfried Hippen