Zwei Kinder sterben an der Vogelgrippe

Osttürkei: Die letzte medizinische Bestätigung fehlt noch, aber es sind wohl erstmals Menschen außerhalb Südostasiens an der Vogelgrippe gestorben. Deutsches Verbraucherministerium schätzt Risiko „eher gering“ ein. Grüne fordern mehr Vorsorge

In der Osttürkeiwird im Winterdas Geflügel insHaus geholt

AUS ISTANBUL UND BERLINJ. GOTTSCHLICH/N. REIMER

„Es ist die Vogelgrippe“, titelte Hürriyet gestern. Gesundheitsminister Recep Akdag hatte drei Tage zuvor noch bestritten, dass an dieser Grippe in der Türkei ein Mensch gestorben sei.

So schnell kann es gehen: Während die Morgenausgabe der Hürriyet ausgetragen wird, muss bereits der nächste Todesfall gemeldet werden. Insgesamt sind in der Universitätsklinik im osttürkischen Van neun Kinder mit Verdacht auf Infektion mit dem Vogelgrippevirus H5N1 eingeliefert worden. Die Kinder stammen aus einem Dorf an der iranischen Grenze. Am Sonntag starb der 14-jährige Mehmet Ali Kocyigit, gestern seine 15-jährige Schwester Fatma. Die zweite Schwester, Hülya, wird mittlerweile künstlich beatmet. Die Ärzte sehen nur noch geringe Chancen. Bei zwei Erwachsenen wurde ebenfalls der Vogelgrippeinfekt diagnostiziert. Auch in anderen Städten der Osttürkei gibt es erkrankte Menschen.

Anders als bei den zwei Vogelgrippefällen, die im Oktober im Westen der Türkei gemeldet wurden, handelt es sich jetzt nicht um leicht lokalisierbare Geflügelfarmen in der Nähe eines Vogelschutzgebietes. In der gebirgigen, sehr unterentwickelten Region leben die Menschen mit ihren Tieren unter einem Dach – vor allem im Winter werden die Hühner ins Haus geholt. Wird das Geflügel krank, holt man auch keinen Veterinär, sondern schlachtet das Federvieh, um es noch rechtzeitig zu verzehren.

Zwar wird jetzt auf allen Fernsehkanälen über Vogelgrippe informiert. Der Umgang mit den Tieren gerade in den abgeschiedenen Dörfern wird sich aber kaum kurzfristig ändern. Entsprechend schwierig ist es auch, das infizierte Gebiet zu lokalisieren. Viele Dörfer leben von Subsistenzwirtschaft. Jede Familie hält sich zur Selbstversorgung ein paar Hühner. Da schon das Aufspüren der Krankheit schwierig wird, gibt es auch wenig Chancen für eine wirksame Prophylaxe. Für flächendeckende Impfungen reicht die Logistik der Gesundheitsversorgung in der Osttürkei nicht aus. Außerdem besitzt die Türkei nicht genügend Grippemittel Tamiflu.

Als „eher gering“ wird derzeit in Deutschland das Vogelgripperisiko eingeschätzt. „Das Monitoring läuft weiter“, erklärt Tanja Thiele vom Bundesverbraucherministerium. Monitoring bedeutet: Auffällige oder tote Tiere werden auf Vogelgrippe untersucht. „Auch die Einfuhrbeschränkungen für Lebensmittel aus den betroffenen Gebieten bestehen weiter“, so Thiele. Leider jedoch würden die Behörden immer wieder verbotene Importe finden, „das birgt natürlich das Risiko, die Vogelgrippe einzuschleppen“.

Geflügelzüchter, Tierärzte, Naturwarte – „um die Risikogruppen wird sich zu wenig gekümmert“, erklärt die bündnisgrüne Agrarexpertin Ulrike Höfgen. Vogelgrippe sei bislang hauptsächlich eine Berufskrankheit – und die Risikogruppen müssten besser vorbereitet werden. Höfgen fordert außerdem, dass die Bundesregierung den Krisenstab erweitert, der bisher nur die Agrarpolitik von Ländern und Bund koordiniert. Auswärtiges Amt und Bundesgesundheitsministerium sollten genauso vertreten sein, „um sich schon jetzt auf den Vogelzug vorzubereiten“. Schließlich begänne im Vogelleben der Frühling „in spätestens zehn Wochen“.

Die EU hat jetzt Veterinärexperten in die Türkei geschickt. Die Weltgesundheitsorganisation hat zwar noch nicht offiziell bestätigt, dass H5N1 die Todesursache der Kinder ist. Ernsthaft zweifelt aber kein Experte mehr daran, dass erstmals Menschen außerhalb Chinas und Südostasiens H5N1-Opfer wurden. Seit 2003 starben dort 74 Menschen.