Rasanter struktureller Wandel

Mit dem Zukauf von Gondrom baut die zum Douglas-Konzern gehörende Buchhandelskette Thalia ihre Marktanteile weiter aus

Der Vorgang ist in Deutschlands Innenstädten und Einkaufszentren fast schon zur Regel geworden: Ein alteingesessener Buchhändler schließt seinen Laden und an seiner statt eröffnet eine Buchhandelskette unmittelbar in der Nähe oder gleich in den alten Räumlichkeiten eine neue Filiale. Die Gründe dafür: Entweder fehlt dem alteingesessenen Buchhändler ein Nachfolger oder er wird klassisch verdrängt. Oder er fühlt sich der Macht und dem Konkurrenzdruck der Buchhandelskette von vornherein nicht mehr gewachsen – als prominentes Beispiel sorgte zuletzt der bis zum Jahreswechsel amtierende Börsenvereinsvorsteher des Deutschen Buchhandels, Dieter Schormann, für Aufsehen, als er sich entschloss, seine Traditionsbuchhandlung in Gießen aufzugeben, weil die Buchhandelskette Thalia im November in direkter Nachbarschaft eine Filiale eröffnete. Schormann wechselte mit einem Großteil seiner Belegschaft zu Thalia, musste aber aufgrund dieses gewissermaßen vorauseilenden Gehorsams sein Amt als Börsenvereinsvorsteher aufgeben.

Es ist ein rasanter Wandel, der sich zurzeit im Buchhandel vollzieht: Vereinigten Ende der Neunzigerjahre die großen Filialisten wie Hugendubel, Weltbild und Thalia noch 12 Prozent Marktanteile im Buchhandel auf sich und die sonstigen, kleineren Buchhändler und Buchgeschäfte 44 Prozent, nähert sich dieses Verhältnis laut einer Studie der GfK Marktforschung in Nürnberg dieses Jahr zunehmend an: 23 Prozent gegenüber 30 Prozent. 2009 sollen dann erstmals mehr Bücher bei den Filialisten verkauft werden als in Traditionsbuchhandlungen (deutliche Zuwächse in dieser Statistik macht übrigens auch der Internetbuchhandel: 1999 lag er bei 2 Prozent, in diesem Jahr bei 11 Prozent, für 2009 prognostizieren die Nürnberger Marktforscher 16 Prozent).

Insbesondere die zum im westfälischen Hagen ansässigen Douglas-Konzern (Parfum, Schmuck) gehörende Thalia-Holding vergrößert ihre Marktanteile zunehmend und zunehmend aggressiver. In 104 Buchhandlungen erzielte Thalia im Geschäftsjahr 2004/2005 einen Umsatz von 332 Millionen Euro (nimmt man noch die 30 Buchhandlungen in Österreich und der Schweiz dazu, sind es 461 Millionen), und weitere Filialen sollen demnächst dazukommen: Neueröffnungen von großflächigen, weit über 2.000 qm großen Buchhandlungen sind für 2006 in Hamburg, Erlangen und Kassel geplant, für 2007 in Trier und Darmstadt.

Zudem wurde zum Jahreswechsel bekannt, dass der ebenfalls nicht kleine Filialist Reinhold Gondrom seine 26 Filialen im Südwesten und Osten Deutschlands zum 1. Januar an Thalia verkauft hat, vorbehaltlich der Zustimmung des Kartellamts. Gondrom, der zuletzt einen Jahresumsatz von 60 Millionen Umsatz erwirtschaftete und dessen größte Buchhandlungen mit jeweils 2.000 qm in Kaiserslautern und Pforzheim ansässig sind, erklärte den Verkauf mit einer fehlenden familiären Nachfolgelösung. Bei Thalia wiederum freut man sich über „eine sinnvolle Ergänzung in unserem Filialnetz“ (Thalia-Chef Michael Busch), da man im Südwesten der Republik bislang kaum vertreten sei. Die 500 Beschäftigten von Gondrom, so heißt es, würden übernommen, und alle Standorte und der Name Gondrom sollen erhalten bleiben.

Schluckt hier ein Großer einen kleinen Großen und scheint sich auf den ersten Blick für Beschäftigte und Gondrom-Klientel wenig zu ändern, so baut doch Thalia seine Marktanteile mit diesem Zukauf weiter aus und macht den örtlichen Buchhändlern in Städten wie Worms oder Offenbach, Chemnitz oder Gera noch mehr Druck, als es Gondrom ohnehin schon getan hat.

Nun verweist man bei Thalia gern auf den immer noch vorhandenen individuellen Einkauf der einzelnen Filialen, darauf, dass man weit entfernt sei von der In-allen-Läden-das-gleiche-kleine-Sortiment-für-kleine-Preise-Strategie des Konkurrenten Weltbild, und auch auf die veränderten Konsumgewohnheiten der Kunden: Die wollen den Buchkauf als Erlebnis gestalten, trinken dabei gern einen Kaffee oder es verlangt sie nach einer Lese- und Autogrammstunde ihres Lieblingsautors. Die Gefahr der Vereinheitlichung aber wächst, des immer gleichen Sortiments, der immer gleichen Auskünfte über den Computer, gerade in Zeiten, da Bücher nicht mehr von selbst gehen und auch viele passionierte Buchkäufer den Gürtel enger schnallen.

Und selbst wenn sich alteingesessene Buchhandlungen mit gleichen Verkaufsmethoden wehren, indem sie ihre Fläche vergrößern, Cafés oder Leseecken einbauen und haufenweise Sonderveranstaltungen organisieren: In Sachen Einkauf, Rationalisierungsmöglichkeiten und dem souveränen Hinnehmen von steigenden Mieten in guten Verkaufslagen werden sie gegen eine Kette wie Thalia immer einen ungleich schwereren Stand haben. GERRIT BARTELS