Das Virus zieht westwärts

Zwei Kinder wurden am Sonntag in Ankara positiv getestet. Zehn Infektionsherde in sechs Provinzen festgestellt. Krisenmanagement kommt in Gang

Fröhliche Kinder helfen das Federvieh einzusammeln, ganz so, als hätten sie ein neues Spiel entdeckt

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Gestern Nachmittag erreichte die Vogelgrippe in der Türkei die Hauptstadt Ankara. Wie ein Sprecher des Keciören-Hospitals gegenüber der Presse erklärte, wurden am frühen Nachmittag zwei Kinder positiv auf das Vogelgrippevirus getestet. „Die Kinder sind in einem guten Zustand“, sagte der behandelnde Arzt, Dr. Metin Dogan, „die Krankheit ist noch nicht lebensbedrohlich, aber der Test ist positiv.“ Ob es sich bei dem Virus um den besonders aggressiven und für Menschen besonders gefährlichen H5N1-Virus-Typ handelt, stand gestern noch nicht fest. Auch aus der Metropole Istanbul werden drei Verdachtsfälle gemeldet, allerdings sind dort die endgültigen Testergebnisse noch nicht verfügbar. Neben diesen alarmierenden Meldungen über eine Ausbreitung der Vogelgrippe auch auf den Westen des Landes und die großen Zentren der Türkei, gab es am Sonntag zumindest auch eine gute Nachricht: Der sechsjährige Ali Hasan Kocyigit, dessen drei ältere Geschwister in der vergangenen Woche an der Vogelgrippe gestorben waren, wurde von der Seuche verschont. „Er hatte keine Vogelgrippe-Viren“, verkündete der behandelnde Arzt, Dr. Ahmet Faik Öner stolz und sichtlich erleichtert, dass die Ärzte der Uniklinik Van wenigstens das jüngste Kind der Familie Kocyigit, an deren Schicksal das ganze Land regen Anteil genommen hat, retten konnten.

Zuvor hatte der türkische Gesundheitsminister Recep Akdag, der mittlerweile mit einer Experten-Delegation der Weltgesundheitsbehörde WHO im osttürkischen Van eingetroffen ist, bestätigen müssen, dass die anderen drei Kinder tatsächlich an dem aggressiven Virenstamm H5N1 gestorben sind. Nach wie vor ist die Universitätsklinik in Van und dort vor allem die Kinderstation das Hauptzentrum der Bekämpfung der Seuche. Insgesamt 35 neue Verdachtsfälle wurden bis Sonntagmittag in der Klinik in Van eingeliefert, bei zwei Kindern im Alter von fünf und acht Jahren wurde ebenfalls das H5N1-Virus festgestellt. Beide schweben in Lebensgefahr.

Außer der Klinik in der Provinzhauptstadt Van wurde vor allem das örtliche Krankenhaus der Kleinstadt Dogubeyazit, des Ortes an der iranischen Grenze, aus dem die Familie der verstorbenen Kinder stammt, von verängstigten Familien bestürmt. Hunderte drängten sich auf den Fluren und wollten ihre Kinder untersuchen lassen, das Krankenhauspersonal ist völlig überfordert. Mittlerweile haben sich aber die Verdachtsfälle über die Provinzen Van und Igdir, in denen zwei Landkreise unter Quarantäne gestellt wurden, weiter ausgebreitet. In allen größeren Städten im Osten des Landes werden Patienten mit Vogelgrippe-Symptomen untersucht. Nach offiziellen Angaben sind bislang zehn Infektionsherde in 6 der insgesamt 81 Provinzen des Landes festgestellt worden.

Durch Reisende aus dem Osten des Landes tauchen nun aber auch erste Verdachtsfälle im Westen auf. Sowohl die in Ankara positiv getesteten zwei Kinder als auch die Verdachtsfälle in Istanbul sind Menschen, die aus den östlichen Provinzen angereist sind und dann mit Fieber und anderen Grippesymptomen in den Krankenhausambulanzen auftauchten. Die Vogelgrippe trifft die Türkei zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Morgen beginnt das höchste religiöse Fest, das Opferfest, bei dem Schafe, Kühe, aber teilweise auch Geflügel geschlachtet und an Bedürftige verteilt werden. Aus diesem Grund werden seit Tagen tausende Tiere durchs Land gefahren, und da an diesem Wochenende die Feiertagsferien begannen, sieht es auf den Autobahnen und Straßen der Türkei aus wie in Deutschland zu Beginn der Weihnachtsferien. An den Flughäfen und Busbahnhöfen werden nun Kontrollen durchgeführt. Reisende mit Grippesymptomen und Fieber sollen sofort ärztlich betreut und untersucht werden. Gestern wurden allein in Istanbul 20 Verdachtsfälle überprüft.

Seit am vergangenen Mittwoch der erste Vogelgrippe-Tote offiziell bestätigt wurde, ist nun endlich auch das Krisenmanagement in den betroffenen Regionen in Gang gekommen. In den Landkreisen, die unter Quarantäne gestellt wurden, wird mit vereinten Kräften von örtlichen Behörden und Armee versucht, sämtliches Geflügel einzusammeln und zu vernichten. Dabei kommt es immer wieder zu absurden Szenen, die zeigen, dass den Menschen in den unterentwickelten, überwiegend kurdisch bewohnten Regionen die Gefahr nach wie vor nicht bewusst ist. Während die Behördenvertreter und Soldaten in Schutzkleidung eingemummt hinter Hühnern herlaufen, springen fröhliche Kinder um sie herum und helfen das Federvieh einzusammeln, ganz so, als hätten sie ein neues Spiel entdeckt.

Nach Angaben von Landwirtschaftsminister Mehdi Eker sind insgesamt 14.000 Hühner, Gänse und Truthühner vernichtet worden. Für die Zukunft will der Minister verbieten lassen, dass Geflügel im Haus gehalten wird. Damit die Leute ihre Hühner nicht verstecken, sondern mit den Behörden kooperieren, hat der Staat großzügige Entschädigungen versprochen. Bislang ist die Rede von 5 Lira (3,5 Euro) pro Huhn, was tatsächlich über dem Marktpreis liegt und dazu beitragen dürfte, dass wirklich alles Geflügel vernichtet werden kann.

Für eine wirksame Bekämpfung der Seuche bleibt jetzt nur noch wenig Zeit. Von Anfang Februar an bis Ende April, warnt der Biologe Özdemir Adizel, beginnt der Vogelzug in der Türkei. Wenn bis dahin die Erreger nicht abgetötet werden konnten, wird sich die Vogelgrippe weiter nach Norden und Westen verbreiten.