Ein kleiner Abschied vom deutschen Autismus

Bessere Unterstützung für die Betreuung von Kindern, mehr Geld für die Wissenschaft, günstige Kredite für Haus-Sanierung – die große Koalition beschließt ein Konjunkturprogramm von mindestens 25 Milliarden Euro und kopiert das Erfolgsrezept der Nachbarstaaten

BERLIN taz ■ Es ist ein Ausbruch aus der Isolation. Wenn die große Koalition bei ihrer Kabinettsklausur ein Konjunkturprogramm von mindestens 25 Milliarden Euro beschließt, machen sich Union und SPD die Erfahrungen anderer Staaten zunutze. Großbritannien, Schweden und Finnland schafften es in den 1990er-Jahren, mit schuldenfinanzierten Ausgabenprogrammen des Staates ihre Wirtschaftskrisen zu überwinden.

Bislang war so etwas in Deutschland eher verpönt. Bundesfinanzminister wie Theo Waigel (CSU) und Hans Eichel (SPD) versuchten, das Land aus der Krise herauszusparen – und scheiterten. Zumindestens für das Jahr 2006 wollen Union und SPD nun eine andere Strategie ausprobieren: Heute und morgen soll in Genshagen ein umfängliches Programm zur Belebung der Wirtschaft beschlossen werden, inklusive einer Verschuldung für 2006 von 41 Milliarden Euro. Die Idee dabei ist, mit geliehenem Geld des Staates das Wirtschaftswachstum zu erhöhen, auf dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und die Finanzminister später wieder mehr Geld einnehmen.

Bereits seit den Koalitionsverhandlungen ist dieses Vorgehen verabredet. Seitdem aber wird über die konkreten Punkte geredet und gestritten. Noch am Wochenende verlangte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zusätzliche Milliardenausgaben, während Volker Kauder, Fraktionschef der Union, dies ablehnte. Wegen vieler ungeklärter Details gibt es bislang auch keine eindeutige Ansage über den Umfang des öffentlichen Konjunkturimpulses. Nach unterschiedlichen Rechnungen liegt das schließliche Volumen irgendwo zwischen 25 und 35 Milliarden Euro.

In jedem Fall will die Regierung berufstätigen Eltern erleichtern, ihre Kinder professionell betreuen zu lassen. Knapp eine halbe Milliarde Euro pro Jahr wird es kosten, die Betreuung steuerlich zu bezuschussen. Die Koalition führt einen neuen Freibetrag ein, damit alle Eltern, unabhängig vom Einkommen, Kosten für Kitas oder Tagesmütter von der Steuer absetzen können.

Während Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) aus Sparsamkeit nur 1.000 Euro pro Jahr gestatten will, peilt Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) eher 1.500 Euro an. Hoch oder niedrig – die Förderung gehorcht der Logik, dass eine gute frühkindliche Betreuung die Entwicklung der Kinder unterstützt und vornehmlich den Müttern erlaubt, weiter ihrem Beruf nachzugehen. Beides kann zu mittel- und langfristigem Wirtschaftswachstum beitragen.

Um die Mittelschicht überhaupt zu animieren, wieder mehr Kinder – die künftigen Konsumenten, Beschäftigten und Leistungsträger – in die Welt zu setzen, wird außerdem ein neues Elterngeld eingeführt, das vom Einkommen abhängig ist. Maximal bekommen berufstätige Eltern für ein Jahr 1.800 Euro pro Monat, wenn sie zum Stillen und Kinderwagenschieben vorübergehend aufhören zu arbeiten.

Zusätzliche 6 Milliarden Euro plant die große Koalition für Forschung und Entwicklung ein. Hinzu kommen 4,3 Milliarden, die es Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) erlauben werden, sechsspurige Autobahnen auf acht Spuren zu verbreitern. Und auch die Deutsche Bahn AG kann mit Investitionsmillionen für ihre Gleise rechnen.

Einen Anschaffungsschub in der Wirtschaft erhoffen sich Union und SPD zudem, weil Firmen vorübergehend 30 statt bisher 20 Prozent der Investitionssumme von der Steuer absetzen können. Ein Programm von 1 bis 1,5 Milliarden Euro schließlich wird billige Kredite und Zuschüsse für Hausbesitzer zur Verfügung stellen, die ihre Immobilien energiesparend sanieren.

Das Jahr 2006 dürfte damit einigermaßen gerettet sein – jedenfalls stimmungsmäßig. Die Prognostiker erwarten bereits ein für deutsche Verhältnisse akzeptables Wachstum von knapp 2 Prozent. Wie es 2007 weitergeht, steht freilich in den Sternen. Denn dann kehrt die Koalition teilweise wieder auf alte Pfade zurück, erhöht die Mehrwertsteuer und will den Stabilitätspakt von Maastricht einhalten. HANNES KOCH