Massives Outsourcing im Kulturbereich

Feste Angestelltenverträge werden immer seltener, vor allem in den Kreativbranchen. Die Zahl selbstständiger Künstler und Publizisten stieg in Berlin innerhalb von 5 Jahren um 50 Prozent. Die Gewerkschaften schauen machtlos zu

Die Berliner Kreativbranche boomt – immer mehr Menschen arbeiten als selbstständige Künstler. Das belegen die Zahlen der Künstlersozialkasse (ksk), bei der sich Kreative ohne festes Angestelltenverhältnis sozialversichern können. Von 2000 bis 2005 ist die Zahl der selbstständigen Künstler und Publizisten in Berlin, die bei der ksk versichert sind, um mehr als 50 Prozent gestiegen – auf über 23.000 im vergangenen Jahr.

Auch in Zukunft rechnet die ksk mit hohen Zuwachsraten. Überraschend ist das nicht, denn schließlich sind längst noch nicht alle Künstler bei der Sozialkasse versichert. Aber Uwe Fritz, stellvertretender ksk-Chef, kennt noch andere Gründe: „Das Interesse an Kulturberufen hat stark zugenommen“, sagt Fritz. „Gleichzeitig haben seit Anfang der 90er-Jahre viele Kulturunternehmen ein massives Outsourcing betrieben.“ Früher fest Angestellte wurden so in die Selbstständigkeit geschickt.

Dieser Schritt ist für viele Kreative nicht einfach. „Es fehlt oft am wirtschaftlichem Know-how“, sagt Christoph Lang, Sprecher der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. „Viele bildende Künstler lernen noch nicht, ihre Kunst auch zu vermarkten.“ Deshalb soll auf der Berliner Existenzgründermesse im April ein besonderes Seminarprogramm für die Kreativen angeboten werden.

Hilfe finden die Künstler auch bei Marlies Moelders. Sie hat in den vergangenen drei Jahren mehr als 50 von ihnen in die Selbstständigkeit begleitet, nur zwei mussten bisher wieder aufgeben. Als Beraterin der LOK.a.Motion GmbH in Pankow kommt sie mit den Kreativen täglich in Kontakt. Das Vorurteil, Künstler seien beratungsresistent, kann sie nicht bestätigen: „Die gibt es sicher auch, aber wenn sie zu mir kommen, sind sie über diesen Punkt schon hinaus“, sagt Moelders.

Eine gemeinsame Interessenvertretung, wie es die Gewerkschaften für die Angestellten sind, haben Freiberufler nicht. „Es ist schwierig, die zu organisieren“, sagt Andreas Splanemann, Ver.di-Sprecher für Berlin und Brandenburg. „Viele wollen die Prioritäten anders setzen und können zum Beispiel auch nachts um vier noch arbeiten.“

Gegen Lohndumping durch Dauerpraktika und die finanzielle Selbstausbeutung vieler Freiberufler kann die Gewerkschaft kaum etwas unternehmen. „Bei schlecht bezahlten Werkverträgen zum Beispiel können wir juristisch nichts machen“, sagt Splanemann. „Das ist eine freiwillige Vereinbarung.“

Deshalb konzentriert sich Ver.di auf die Beratung der Freiberufler und versucht so, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Entspannen wird sich die Situation auch in Zukunft nicht, meint Splanemann: „Wir sind in einer Umbruchphase vom festen Arbeitsplatz zum Arbeitsverhältnis ohne Tarifvertrag. Da gibt es keine Umkehr mehr.“ MARTIN REISCHKE