Harald Schmidt und die anderen Schreckensmänner

Sie sind ihre eigenen Bildhauer und Bilderzerstörer – Veit Sprenger widmet sich in seinem Buch „Despoten auf der Bühne“ der brüchigen Welt der Late-Nite-Show-Performer

Was im herkömmlichen Theater hinter den Kulissen stattgefunden hat, passiert nun offen auf der BühneDer kalkulierte Absturzlässt den Bühnendespotenauf Augenhöhe mit dem Publikum erscheinen

Woche für Woche das gleiche Spektakel: Harald Schmidt betritt die Bühne seiner Late-Nite-Show, begleitet vom Applaus des Saalpublikums und dem Gegniedel seiner Showband. Nach einigen Takten Musik knipst er den Geräuschpegel mit einer Handbewegung aus und beginnt die Strippen für sein Spiel aus Gags und Bonmots zu ziehen. Ob er seine Gäste oder sich selbst der Lächerlichkeit preisgibt, ob er mit Pointen scheitert oder einen Witz erfolgreich über die Runden bringt, ist fortan gar nicht entscheidend. Wichtig ist das Timing der Handlungsabläufe. Das Publikum ist eingeweiht, es weiß die Irritationen zu schätzen. Schmidts chronisches (Ver)Spielen ist erlaubtes Stilmittel.

Der Hamburger Autor und Theatermacher Veit Sprenger hat den Performern der Late-Nite-Shows ein Buch gewidmet. „Bühnendespoten“, so sein Titel, sind für Sprenger doppeldeutige Figuren. Mal werden sie von Größenwahn geleitet, mal kehren sie ihre Bedeutungslosigkeit hervor. Veit Sprenger ist Mitglied der Hamburger Theatergruppe „Showcase Beat Le Mot“, die in ihrer Arbeit immer wieder Showaspekte der Performance betont.

„Was im herkömmlichen Theater im Versteckten hinter den Kulissen stattgefunden hat, passiert nun offen auf der Bühne“, erklärt Veit Sprenger über die brüchige Welt des Bühnendespoten. Er ist Bildhauer und Bilderzerstörer, sprengt den Rahmen, den er zuvor geschaffen hat, verrät die Pointe eines Witzes, zeigt offen die Cue-Cards in die Kamera oder bringt absichtlich die Zeitebenen der aufgezeichneten Sendung mit der Ausstrahlungszeit durcheinander.

Genau diese Billige-Jakob-Nummern verschaffen ihm immer wieder Sicherheit. „I’m not a talkshow host, I play one on tv“, wird der Late-Nite-Veteran David Letterman von Sprenger zitiert. „Wir befinden uns bei der Show in einem Zwischenraum“, erklärt er, „von Repräsentation, von wirklichem Leben und von Skandalen, von Fiasko und von Sensation.“ Wenn der Bühnendespot seine Haut zu Markte trägt, überfordert ihn diese Inszenierung zugleich. Der kalkulierte Absturz ins Lachhafte lässt ihn dann auf Augenhöhe mit dem Publikum erscheinen.

Mit seinem Buch gelingt Sprenger nicht nur eine hellsichtige Analyse des Solo-Entertainers, er begibt sich auch auf Wurzelsuche. Ausgehend von einem erweiterten Theaterbegriff (den er im deutschsprachigen Theater vermisst) landet der 38-Jährige bei der angloamerikanischen Definition von „Performance-Arts“. In den USA versteht man darunter eine kaum puristische Schnittmenge aus Theater- und Zirkuselementen: Sie beinhaltet Straßenverkäufertricks ebenso wie Slapsticknummern, Theorieversatzstücke und Slang.

Der Performance-Artist ist Lassowerferin und Wunderheiler in einer Person. Die energiegeladene Atmosphäre eines Popkonzerts kann durch ihn oder sie ebenso gezaubert werden wie die illustre Stimmung in einem Varieté. Die Show integriert Musik, sie öffnet sich zum Fernsehen oder zum Kino. Fakt sei, so Sprenger, wenn ein Performer nur mit einem Mikrofon bewaffnet live vor die Zuschauer tritt, funktioniert diese Ansprache direkter als alle darstellenden Formen von klassischem Theater.

Eine genuin amerikanische Form der populären Unterhaltungsshow kann nicht ohne die Geschichte von Hautfärbungen und Sprachfärbungen untersucht werden. Und so findet Sprenger zahlreiche Anhaltspunkte für eine Verzahnung von amerikanischer Unterhaltungskultur mit emanzipativen politischen Bewegungen. Am Beginn der Untersuchung steht die Minstrel-Show, jene rassistische, seit den 1820er-Jahren bei einem weißen Publikum in den USA populäre Showform. Bis Ende des 19. Jahrhunderts applaudierte das weiße Publikum weißen Männern auf der Bühne, die ihre Gesichter ankokelten, in die Rollen schwarzer Tänzerinnen oder Musiker schlüpften, rassistische Witze rissen und feiste Songs sangen.

In den 1920ern tauchten im Vaudeville erstmals schwarze Performer auf, die diese Witze für ihre Zwecke umänderten. Im Zuschauerraum waren damals noch keine Schwarzen zugelassen. Der „Chitlin-Circuit“ entstand, mit schwarzen Performern für ein schwarzes Publikum. Diese Verzerrung und zwangsweise Separation wurde wiederum zur Inspirationsquelle für schwarze Comedians in den Fünfzigern. Sammy Davis Jr. parodierte als einer der ersten Weiße. Der selbst erfahrene Rassismus bot ihm eine willkommene Angriffsfläche. Anstatt für Weiße zu singen oder zu spaßen, wandte er sich per Mikrofon an das weiße Publikum. Diese Selbstüberhöhung in der Sprecherposition führte zunächst zum Skandal. Dann machte sein Beispiel Schule. „Freedom of speech“ war auch eine der Grundforderungen der Civil-Rights-Bewegung. Besonders der spätere Präsidentschaftskandidat Dick Gregory führte das freie Sprechen als Stand-Up-Comedian zu neuer Meisterschaft. „US-Showgeschichte wirkt wie eine Lupe“, sagt Sprenger, „sozial konnotierte Phänomene aus der zerstrittenen US-Gesellschaft werden an ihr jeweils besonders sichtbar.“

Politik als Entertainment hat auch Schattenseiten. Showvorsteher seien, so Sprenger, historisch betrachtet unseriöse, oft abstoßende Charaktere. Der Bühnendespot unterscheide sich aber fundamental vom Despoten der politischen Sphäre. Der Bühnendespot leistet eine populäre Reflexion auf die hässlichen Fratzen des Faschismus. Während der Diktator die Massen mit cholerischer Rede und einfachen narrativen Schlussfolgerungen in den Bann zieht, spielen Bühnendespoten bloß mit dem Jargon des Totalitären. Sie stellen ihre Macht sofort wieder zur Disposition. „Die Show neigt dazu, sich selbst zu chaotisieren. Sie endet in einem ungeordneten, nicht militaristischen Gesamtbild. Sie endet in einem Narrenschiff.“ In den USA haben Showboats tatsächlich Theatergeschichte geschrieben. Es waren schwimmende Säle, auf denen es Theateraufführungen gab, aber auch Magier auftraten und Konzerte gegeben wurden.

JULIAN WEBER

Veit Sprenger: „Despoten auf der Bühne. Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze“. Transcript-Verlag, Bielefeld, 2005, 356 Seiten, 28,80 €