Ein kostbarer Besitz

In dem Film „Gabrielle“ erweist sich Isabelle Huppert als Gefangene einer gescheiterten Ehe – und des Stilwillens des Regisseurs Patrice Chéreau

VON ANKE LEWEKE

Wenn Patrice Chéreau Kino macht, geht es um Menschen, die mit ihren Sehnsüchten ringen. Wie kaum ein anderer Filmemacher erzählt der Franzose von der exzessiven Körperlichkeit der Leidenschaft – mit Bildern, die kaum unterschiedlicher ausfallen könnten. Mal bleiben die Stilmittel reduziert, und die Kamera lässt sich ganz auf die Körper ein. Auf das nackte, sich verzehrende Paar in „Intimacy“ (2001), das sich zum Sex trifft und dann wieder getrennte Wege geht. Da erkundet das Objektiv jede Falte, bis hin zu den Geschlechtsteilen. In seinem Film „L’homme blessé“ aus dem Jahre 1983 übernimmt Chéreaus Kamera den Blick der Freier und heftet sich an einen jungen Stricher, verfolgt ihn durch Bahnhofshallen und leere Pariser Gassen. Der Körper wird zum Gejagten.

Wechselt Patrice Chéreau ins Kostümfach, dann stellt er die Physis plötzlich aus und der Blick wird distanzierter. Etwa wenn sich Isabelle Adjani in „Die Bartholomäusnacht“ (1994) in einer künstlich ausgeleuchteten Nachtszene von ihrem Liebhaber gegen eine Straßenmauer gelehnt ficken lässt.

Körperlichkeit bzw. deren völlige Abwesenheit ist auch das Thema von Chéreaus neuem Film „Gabrielle“. Isabelle Huppert und Pascale Greggory spielen ein Paar der feinen französischen Gesellschaft. Wir schreiben das Jahr 1912. Die Herveys haben sich in einem feudalen Pariser Stadtpalast niedergelassen. Man sammelt Kunst, gibt Diners und exklusive Gesellschaften. Zu auftrumpfender Musik werden die hochherrschaftlichen Räume erforscht, das Leben in Luxus und Überdruss. Wohl um zu zeigen, dass Madame Hervey eine Gefangene ihres eigenen Lebens und Standes ist, kreist die Kamera sie immer wieder ein.

Ein wenig zu offensichtlich demonstriert Chéreau, dass hier eine Ehe erstickt wird oder auch nie atmen konnte. Sie verschwindet unter Reichtum und Konventionen oder verflüchtigt sich in den nicht enden wollenden Zimmerfluchten. Spätestens wenn die Kunstsammlung von Monsieur ins Bild gerückt wird, weiß man, dass er auch seine Frau nur wie einen kostbaren Besitz betrachtet.

Eines Tages beschließt Madame Hervey, ihren Mann für einen anderen zu verlassen. Er findet ihren Abschiedsbrief vor, doch kehrt sie schon nach wenigen Stunden wieder zurück. Es beginnt ein erbittertes Rededuell, in dem die beiden zum ersten Mal ihrer Ehe und den vereisten Gefühlen auf den Grund gehen.

„Gabrielle“ entstand nach Joseph Conrads Kurzgeschichte „Die Rückkehr“. Es ist ein Film, der auf zwei großartige Darsteller vertrauen könnte und sich doch mit seinem Stilwillen über sie erhebt. Etwa mit den bombastisch dröhnenden Orchesterklängen oder auch unvermuteten Farbwechseln. „Gabrielle“ beginnt in einem blaustichigen Schwarzweiß, wechselt dann zur Farbe und springt gelegentlich wieder ins Schwarzweiß zurück. Hinzu kommen eingefrorene Szenen, Reißschwenks, Zeitlupen und Zwischentitel. Es ist eine Schlacht der formalen Mittel, die das Ehepaar aus den Augen verliert und damit die große Frage dieser Erzählung: Was hält die beiden trotz allem zusammen? Warum kehrt eine Frau, die ihre Leidenschaft leben könnte, in die kalte Pracht zurück?

Nicht eine einzige Sekunde gelingt es Cheréau, über dieses Paar und die Zeit der Belle Epoque hinausweisen. Sein Goldener Käfig ist hermetisch verriegelt. Die Körper, die darin gefangen sind, bleiben Marionetten. Dekorativ in Szene gesetzt vom einem Regiezampano, für den auch ihr Innenleben nur Schauwert ist.

„Gabrielle“. Von Patrice Chéreau. Mit Isabelle Huppert, Pascal Greggory. Frankreich 2005, 90 Min.