Lokal links

Der Links-Druck im Norden (2): Rein äußerlich wirken die Hamburger „Lokalberichte“ wie ein altlinkes Verlautbarungsorgan. Aber Christiane Schneider sorgt mit ihnen für Kontroversen – intern und extern

Die Linke Presse im Norden lebt. Oder sie darbt. Oder sie rockt. Man kann sie lesen oder nicht, nur über sie lesen, das kann man selten. In loser Folge stellt die taz nord deshalb Zeitschriften des Nordens vor, die sich und ihr Publikum politisch links verorten.

„Maßstab ist mir nach wie vor, wie Marx es formulierte, ‚alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist‘“, wählt Christiane Schneider wohlbedacht ihre Worte auf die Frage, was für sie heute links sein bedeutet. Am Rande des Hamburger Schanzenviertels arbeitet sie in einem kleinen Verlagsbüro, recherchiert und verfasst Artikel, nimmt an Redaktionssitzungen teil, erstellt Druckvorlagen und produziert im für kleine Auflagen idealen Digitaldruck Flugblätter, Zeitschriften und manchmal Bücher.

Die 57-jährige gelernte Schriftsetzerin ist Mitglied in der kommunistischen „Arbeitsgemeinschaft BWK in und bei der Hamburger PDS“ und einzige Angestellte des Kleinverlages GNN, in dem die „Lokalberichte“ erscheinen. Alle zwei Wochen erscheint dieses Heft. Mal mit nachgedruckten Flugblättern oder Reden, oft aber auch mit hintergründigen Analysen zur Rathauspolitik und dem Protest dagegen. Schneider: „Das Anliegen ist, eine Art Diskussionszusammenhang politisch aktiver Linker in Hamburg herzustellen“.

Was die äußerlich wie ein traditionslinkes Verlautbarungsorgan erscheinenden Lokalberichte auszeichnet, ist der offene Ansatz. „Für die Herausbildung und Entwicklung von Kritik und Widerstand müssen viele Argumente aus unterschiedlichen Sichtweisen zusammengetragen werden“, wie Schneider betont. „Vor allem aber spielten natürlich solche Fragen eine Rolle, die in der Linken oft zu Spaltungen und schweren Zerwürfnissen geführt haben, wie die Frage des Antisemitismus in der Linken. Die Lokalberichte haben sich in solchen Fällen bemüht, kontroverse Diskussionen zu ermöglichen.“

Abo-Kündigungen wegen bestimmter Beiträge hat es vereinzelt gegeben, und mitunter kommen Erwiderungen auf als falsch angesehene Beiträge recht rabiat daher: Etwa, wenn es um antisemitische Tendenzen in der deutschen Friedensbewegung geht, oder die Kritik am Nationalismus antiimperialistischer Gruppen wie der kurdischen PKK. Gerade wenn solche Kontroversen in den Lokalberichten ausgetragen werden, lesen sie sich spannend. Garant für diese Offenheit ist die AG BWK, welche die Lokalberichte vor 17 Jahren gegründet hat. Finanziell trägt sich das Projekt durch deren monatlichen Druckkostenzuschuss – und unbezahlte Arbeit.

Die Auflage liegt bei 400 Exemplaren, das Heft wird fast ausschließlich im Abo vertrieben und in linken Organisationen oft weitergereicht.

Schneider selbst kann auf eine lange politische Erfahrung zurückblicken, sie politisierte sich bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg in den 60er-Jahren. Vielleicht kommt daher ihre Gelassenheit, wenn linke Querelen toben oder sie sich neben der Produktion der Lokalberichte und den Verlagsgeschäften in die Debatten des Linkspartei-Landesverbandes einmischt.

Bei den Vorstandswahlen im Februar will sie aber nicht mehr antreten: „Ich bin jetzt fast vier Jahre Landessprecherin, das war schon eine Belastung, weil der Verlag, in dem ich sehr gerne arbeite, fast die gesamte Arbeitskraft beansprucht.“

Vergangenen Oktober nutzte der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes, Heino Vahldieck, die Aufmerksamkeit für die Linkspartei für eine kleine Kampagne gegen Christiane Schneider. Anlass: Im GNN-Verlag erscheint neben den Lokalberichten auch das „Gefangeneninfo“, in dem sich Gefangene zu Wort melden können – darunter auch ehemalige Mitglieder der RAF. Vahldieck erklärte, in dem Organ würde „jegliche Art von politisch motivierter Aktion, auch von gewalttätigen terroristischen Aktionen“ gerechtfertigt. Man identifiziere sich so mit den Tätern.“ Die Aktivitäten der Hamburger Linkspartei.PDS bezeichnete er deshalb als „für unsere Demokratie gefährlich“. Vorwürfe, die Schneider vehement bestreitet. Aber man kann sicher sein: falls die profilierte Kritikerin der Senatspolitik über die Liste der Linkspartei in die nächste Bürgerschaft kommt, wird der Verfassungsschutz erneut versuchen, sie in die Terror-Ecke zu stellen. Gaston Kirsche