Ein republikanisches Anliegen

Auch wenn der Muslim-Test das falsche Mittel ist: Der umstrittene Fragebogen für einbürgerungswillige Ausländer in Baden-Württemberg will im Prinzip das Richtige

Deutscher soll nur werden, wer Schwule und Lesben sowie die Gleichberechtigung der Frau respektiertKulturelle Traditionen, die mit Gewalt bewahrt werden, sind nicht von der Verfassung geschützt

Die öffentliche Debatte um den „Gesprächsleitfaden für die Einwanderungsbehörden“ des Landes Baden-Württemberg weist eine interessierte Schieflage auf.

Zunächst einmal muss betont werden, dass die Prüfungsvorlage lediglich jene Menschen betreffen kann, die aus Ländern stammen, welche der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) angehören. Zugleich steht der Fragebogen am Ende eines Einbürgerungsverfahrens – und gilt nur für Kandidaten, die „begründete Zweifel“ wecken. Eine Regelanfrage für jedwede Einbürgerung ist und soll er nicht sein. Kurzum: Die Causa trägt keinen „Generalverdacht gegen Ausländer“ in sich, noch geht es dabei um „Rassismus“.

Erstaunlich an der zum „Skandal“ erhobenen Prüfungsvorlage ist freilich weniger, dass überhaupt die sittlichen Grundlagen für eine Einbürgerung zur Prüfung gelangen: Das ist doch schon für einen Kaninchenzüchterverein selbstverständlich, für einen Staat, der sich als säkular versteht, erst recht. Überraschend ist in erster Linie, welchen Fragen sich die einbürgerungswilligen Ausländer da stellen sollen. Es sind solche, die den Kern grünalternativen Weltverständnisses berühren, ja, dessen Kanon direkt aufgreifen. Salopp formuliert: Deutscher soll nur werden können, wer Schwule und Lesben für zu respektierende MitbürgerInnen hält, wer auch keine Probleme mit dem koedukativen Sportunterricht hat und wer die Gleichberechtigung der Geschlechter in jeder Hinsicht anerkennt.

Gerade über den Punkt, der das Verhältnis zu Homosexuellen betrifft, haben sich KommentatorInnen, von der FAZ bis zur taz, besonders ereifert – abfällig und bagatellisierend. Es sei doch, so der Tenor, auch für schwäbische Ureinwohner ein „Schicksalsschlag“, wenn sich das eigene Kind als schwul oder lesbisch erweist. Nun, der Unterschied liegt doch darin, dass in der Bundesrepublik dies möglicherweise als Tort wider die eigenen Elternwünsche wahrgenommen wird. Im Gros jener Länder der OIC, aus der die Einwanderer kommen, steht auf Homosexualität nicht allein die Ächtung, sondern oft genug der Tod. Das ist, alle Diskriminierung eingerechnet, ein Unterschied ums Ganze.

Die bundesdeutsche Liberalität zu Gunsten von Frauen, Homosexuellen und Einwanderern ist erkämpft, für diese Debatten steht die Chiffre Achtundsechzig – und wer mag, kann das für einen Zivilisationsfortschritt halten. Der Fragebogen der Unionsadministration in Stuttgart sagt ja auch dies: Die CDU lehnt die Diskriminierung von Schwulen und Lesben ab und setzt sich für ein gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis ein. Unsere Kreise etwa nicht?

Ist es nicht sittlich wie moralisch wert, eben dies auch zur Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu machen? Dass die Migranten aus OIC-Länder besonders betroffen sind: Das müssen sie ertragen, dieser Preis darf abverlangt werden. Welchen Sinn hätte eine demokratisch-rechtsstaatliche Verfassung denn sonst? In der Kritik am „Gesprächsleitfaden“, die sich ja quasi lustig macht über die Fragen, steckt nicht allein die Verharmlosung des zivilisatorischen Fortschritts in der Bundesrepublik – etwa nach dem Motto: Ach Gottchen, ein bisschen homophob sind wir doch alle! Die eigenen Kinder hätte man ja auch lieber hetero. Vielmehr werden in dieser Kritik auch die Ansprüche von Frauen ignoriert, die aus islamischen Ländern flohen, um endlich frei leben zu können. Das bezeugen nicht allein Frauen wie Necla Kelek („Die verkaufte Braut“) oder die Bürgerrechtsanwältin Seyran Ates. Das war auch der Grund für die Ermordung Hatun Sürücüs vor einem Jahr. Sie wollte leben wie eine Deutsche – und durfte es nicht.

Der Antirassismus, den der französische Philosoph Alain Finkielkraut neulich in einem Interview zu den Krawallen in den Pariser Banlieues mit der israelischen Zeitung Ha’aretz als „totalitäre Ideologie des 21. Jahrhunderts“ bezeichnete, stellt Migrantenrecht über alles. Es ist ein gutherzig gestimmter Antirassismus, der sich an öffentlicher Buntheit delektiert und lieber keinen Blick hinter die Wohnungstüren werfen möchte, Zwangsheiraten nicht als Skandal sieht und Homophobie für einen Lifestylefehler hält – und, falls es doch Probleme gibt, sie zu proletarisch-bäuerlichen Atavismen („Kommen ja aus dem hinterletzten Anatolien“) verniedlicht. Kein Wunder, dass eben diese Antirassisten von feministisch denkenden Frauen gefürchtet werden: so genannte Migrationsbeschützer, die selbst das Grundgesetz vermutlich preisgeben würden, das sie offenkundig für einen Kaufvertrag unter vielen halten.

Das Grundgesetz ist religiös blind. Kulturelle Traditionen, die mit Gewalt bewahrt werden, können nicht von der Verfassung geschützt werden. Sehend muss das Grundgesetz sein für die erstrittene Tradition (und sei sie noch so jung) der Mehrheitsgesellschaft. Und dieses achtet eben einen gesellschaftlichen Pluralismus, der Homosexuelle mit einschließt sowie Frauen, die Miniröcke tragen, auf Allah im Privaten schwören und sich die Wahl der Männer nicht vorschreiben lassen wollen. Hinter dieser Linie ist nichts zu wollen, kein bisschen zu verhandeln: Das mag ungemütlich, roh, menschenverachtend und sonst wie schlimm genannt werden, aber so liegen die Dinge nun mal.

Die Besorgnis, gerade was Muslime aus OIC-Ländern betrifft, beruht ja auch auf empirischen Erkenntnissen. Nach einer Umfrage des Zentralinstituts Islam-Archiv in Soest aus dem Jahr 2004 hielten 21 Prozent der hierzulande befragten Muslime Koran und Grundgesetz für unvereinbar. Dazu kommt, dass ein Gros der Gewaltdelikte gegen Schwule und Lesben sowie Frauen ohne Kopftuch auf das Konto von jungen Männern gehen, deren Prägung eine muslimisch-patriarchale ist. Es sind Aggressionen von Männern, die um ihre Rolle als Familienprinzen fürchten: Der Westen, zumal Deutschland, kennt jedoch keine rechtliche oder sittlich kodierte Privilegierung des Mannes – und das ist das Problem, um das es hier geht.

Schäubles Vorschläge, zur Begrenzung von Zwangsheiraten das Alter für den Nachzug ausländischer Ehepartner auf 21 Jahre heraufzusetzen, sind in diesem Kontext zu sehen: Ein Vorschlag für ein Gesetz – nicht perfekt, aber besser als gar nichts. Zwangsheirat ist ein gesellschaftliches Problem, kein singuläres Schicksal.

Das multikulturelle Deutschland sei dadurch bedroht? Im Gegenteil. Soll doch kommen, wer will. Aber Deutschland ist als faktisches Einwanderungsland auch deshalb so erfolgreich, weil es das Grundgesetz über den Koran stellt. Vor allem Frauen schätzen dies, gerade sie. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass die patriarchale Kultur, von der sie Abschied nahmen, bei uns nicht gesellschaftsfähig wird.

Der „Gesprächsleitfaden“ ist ein missliches Stück Papier. Mit Verwaltungshandeln wird nichts gelöst, ein solches Verfahren kann man bequem austricksen. Doch die Diskussion wird damit nun endlich ehrlich geführt.

JAN FEDDERSEN