Schule der Tricks

Trickfilmzeichner sein bedeutet: wenig Geld, wenig Ruhm, wenig Sicherheit. Denn die Zukunft heißt 3D, und gezeichnet wird in großen Fabriken, die in Asien stehen. Egal: Um Nachwuchs braucht sich die „Animation School“ in Hamburg nicht zu sorgen

von Anne Kunze
(Text)und Jan Camrda (Fotos)

Seit Tagen zeichnet Letty Hände. Hände von Fantasiefiguren, Hände, immer wieder Hände, aus allen Perspektiven. Einzelne Muskelpartien hat sie in Anatomiebüchern studiert. „Diese Übungen mache ich jeden Tag“, sagt die 20-Jährige. Energisch streicht sie sich das lange, schwarze Haar aus der Stirn.

Sie sitzt an ihrem Zeichentisch an der „Animation School“. In dem schrägen Tisch ist eine runde Glasplatte eingefasst, die von unten beleuchtet wird, so dass man die Striche noch feiner zeichnen kann. Zum Zeichnen ist Letty durch ihre Playstation gekommen, „ich war schon immer fasziniert von den Figuren in Computerspielen“, erklärt sie.

Mit 19 anderen Schülern zwischen 19 und 45 Jahren besucht sie seit gut vier Wochen den siebten Jahrgang der Animation School in Hamburg-Hamm: Der Eingang ist in einem großen Backsteinhaus, in dem noch andere Firmen untergebracht sind, man muss den Schildern „Stiftung für Berufliche Bildung“ folgen, Sohlen quietschen über PVC.

Über einen zugigen Hinterhof geht man in einen Flachbau, es staubt, hier wird gebaut. Die Treppe hoch, eine Doppeltür, sie öffnet sich knarrend, dahinter wartet freundlich lächelnd ein Mann in den 50ern, er hat eine Brille und lange Haare, sein blaues T-Shirt spannt über einem kleinen Bauch. Es ist Manfred Behn, der Schulleiter. Sein Büro ist auch Raucherraum, Garderobe und Archiv: Regale voll von DVDs mit Zeichentrickfilmen, hüfthoch liegen Skizzenbögen.

Ein Stapel Skizzen entspricht einem Fünf-Minuten-Film. Trickfilmemachen bedeutet vor allem Zeichnen. Im Film gibt es 24 Bilder pro Sekunde, meistens werden 12 Bilder gezeichnet, jedes Bild ist dann zweimal zu sehen.

Die Animation School wird gefördert vom europäischen Sozialfonds und der Stiftung Berufliche Bildung, 225 Euro zahlen Letty und ihre Mitschüler jeden Monat selbst. Gegründet wurde sie auf Initiative des Trickfilmstudios „Trickompany“. Die großen Hamburger Studios brauchten dringend Zeichner, ihnen war der Nachwuchs ausgegangen. Sie stellen auch die Dozenten an der Animation School, zum Beispiel Harald Siepermann, der Charakterdesign für Disney Figuren entwirft.

Für die Bewerbung an der Animation School hat Letty eine Mappe gemacht, 20 Skizzen. „Wir möchten sehen“, sagt Schulleiter Manfred Behn, „dass jemand sein Modell in verschiedenen Posen zeigen kann, uns kommt es auf die Bewegungen an.“ Angenommen werden die Bewerber, aus deren Zeichnungen man erkennt, dass sie beobachten können. „Bei den Besten merkt man: die können nicht anders, die müssen einfach zeichnen.“

Die Schule dauert 14 Monate, in den ersten sieben lernen Letty und ihre Mitschüler die Grundlagen des Trickfilmens: wie entwickle ich eine Geschichte? An welchen Szenen kann ich sie erzählen? Welchen Hintergrund zeichne ich? Und das wichtigste, nervenraubendste, schweißtreibendste: Wie bringe ich die Figur dazu, dass sie sich bewegt?

Letty weiß genau, wohin sie möchte, „3D“, sagt sie, „ich mache diese Schule, weil zeichnen die Grundlage für 3D ist.“ An dem Mädchen kristallisieren sich Zukunft und Probleme der Branche: Computeranimationen. Würden alle Filme nur 3D produziert, also am Computer gemacht, bräuchte man viel weniger Zeichner. An der Animation School sind die Abschlussfilme auf 2D gedreht, das heißt, alles wird gezeichnet und eingescannt. Auch die Hamburger Studios produzieren hauptsächlich 2D Filme. Aber die USA geben einen eindeutigen Trend vor: erfolgreiche Kinofilme wie „Finding Nemo“ sind computeranimiert. Und Disney, wegweisend im Zeichentrickfilm, hat jüngst sein letztes 2D Studio in Sydney geschlossen.

„Klassisch animierte 2D Filme wird es immer geben“, sagt Manfred Behn, sagt auch Jan Michael Brandt, Leiter der Trickompany, meinen alle aus dem Trickfilmbereich, die man fragt, aber ein jeder hört sich so an, als müsse er damit vor allem sich selbst überzeugen. Zumindest an einem Argument halten sie sich wie Manfred Behn fest: „Ob 2D oder 3D, einig sind sich in einer Frage alle: Zeichnen können müssen die Leute schon.“

In der zweiten Hälfte ihrer Schulzeit machen die herangehenden Trickfilmer in kleinen Gruppen rund fünf Minuten lange Zeichentrickfilme. Eine stressige Zeit, in der oft nur ein paar Stunden Ruhe im Schlafsack auf dem Klassenboden drin sind. Doch es lohnt sich: im November haben Absolventen der Animation School mit ihrem Abschlussfilm den „Hamburg Animation Award“ gewonnen.

Danach geht es erst richtig los. Ungefähr die Hälfte aller Absolventen, schätzt Manfred Behn, gehen in Berufe zurück, die sie schon vorher hatten, als Grafiker und Illustratoren zum Beispiel. Für alle anderen beginnt die Jobsuche, in der Gewissheit, immer nur ein Projekt für einige Monate zu finden.

Trickfilm hat klassischerweise eine starke Independent-Szene. Obwohl Eva Hubert von der Filmförderung Hamburg behauptet, es gebe „für junge gut ausgebildete Trickfilmer sicherlich die Möglichkeit, ihren Neigungen und Talenten entsprechend eingebunden zu werden“, ist die Angst vor der Zukunft bis in den Klassenraum der Animation-School hinein zu spüren, in dem Letty mit ihren Mitschülern sitzt und zeichnet.

Die Hamburger Studios vergeben Arbeitsverträge für Projekte, manchmal für eineinhalb Jahre, manchmal für ein paar Wochen. Wie bei Stephan Clemens, er ist 27, hat im November die Animation School abgeschlossen und als Praktikant für die Trickompany gearbeitet, an der Produktion für „Das doppelte Lottchen“, jetzt wurde er befristet angestellt.

Schnell hat er gelernt, dass man als Trickfilmer kein individueller Künstler ist: die eigenen Zeichnungen müssen unbedingt von anderen reproduzierbar sein. „Ein guter Trickfilmer muss variabel sein und verschiedene Zeichenstile schnell adaptieren können“, erklärt Stefan, „es ist viel Handwerk dabei.“

Vor allem wichtig wird das bei einem weiteren Punkt, der vielen Zukunftssorgen bereitet: Dem „Outsourcen“ der Zeichnungen nach Asien. Nur die Vorproduktion eines Filmes wird noch in Hamburg gemacht. Das sind für einen abendfüllenden Film vier bis sechs Monate, in denen Geschichte und Charaktere entwickelt werden. Danach wird das so genannte Storyboard nach Asien geschickt. Dort zeichnen an die 200 Menschen in riesigen Hallen die einzelnen Bilder, die es zum fertigen Trickfilm braucht. Es muss wie Fließbandarbeit aussehen.

Zwar wird stets betont, es gebe durch das Auslagern der Zeichnungen keine Einbußen in der Qualität, die Zeichner in Taiwan und China seien sehr talentiert. Dennoch befremdet viele der Gedanke, einen halbfertigen Film woanders fertig zeichnen zu lassen. „Wenn die Filme ganz hier produziert würde, wäre mehr Liebe in den Zeichnungen“, glaubt Stephan.

Zeichnen in Asien, Zukunft in 3D – was ist es, das die Trickfilmer weiter so an ihrem Beruf fasziniert? „Geschichten erzählen“, sagt Stephan, „Geschichten, die man im Realfilm wegen technischer Beschränkungen nicht darstellen könnte.“ Mit leuchtend-grünen Augen könnte sich Stephan stundenlang über Zeichentrick begeistern: „Es ist nur gezeichnet, aber die Figur bewegt sich trotzdem.“