Die nächste Hölle kommt bestimmt

Doppelgänger, Déjà-vu-Loops, der Fleischwolf der Fiktion: Bret Easton Ellis will mit „Lunar Park“ endgültig über die eigene Wirklichkeit triumphieren

„Lunar Park“ macht sich einen Spaß daraus, jede Art der Einfühlung auf Grund laufen zu lassen„Lunar Park“ ist eine Groteske, die viel von der Schauerromantik E. A. Poes und David Lynchs hat

VON HARALD FRICKE

Er ist wieder da. Seit ein paar Wochen bereitet sich das deutsche Feuilleton auf den neuen Roman von Bret Easton Ellis vor. Hier eine Homestory, dort ein besinnliches Porträt über den Autor, der Öffentlichkeit scheut und seine gewaltstrotzenden Bücher von früher für Jugendsünden hält, dazwischen Interviews und Fotosessions. Im Spiegel liest man, wie unscheinbar, beinahe nachlässig sich der Schriftsteller mittlerweile in Trainingshosen auf dem Rand seiner Badewanne sitzend präsentiert – und in der Zeit kann man genau dieses Bild von Ellis aufmachergroß abgedruckt sehen. Das ist lustig, zeugt von der Inszenierungsfreude und auch von der Kontrollsucht, die Ellis weiterhin antreibt. Vor allem aber wird er den Umkreis seiner Gestalten nicht mehr los, vom Psycho Bateman und den Kokain schnupfenden Bret-Pack-Kollegen bis hin zum ungeliebten Vater Robert Martin Ellis, der 1992 starb. Das zumindest weiß man nach der Lektüre seines am Montag auf Deutsch erscheinenden Romans „Lunar Park“.

Er ist wieder da. Der Satz beschließt nach gut einem Drittel Wegstrecke das mit „Halloween“ überschriebene neunte Kapitel in „Lunar Park“. Es ist der Augenblick, von dem an die Bret-Easton-Ellis-Exzess-Maschine auch im Text auf Hochtouren läuft. Serienmörder, Leichenteile, Halluzinationen und Verfolgungswahn. Hallo Abgrund, alter Freund! Dabei wollte Ellis doch nie wieder zurück in den Moshpit des Schreckens, wie man zuvor aus der länglichen Einführung erfährt, einem biografischen Schnelldurchlauf, der seinen kometenhaften Aufstieg als Schriftsteller und den sich anschließenden privaten Niedergang rekapituliert. Wie Ellis zur Yuppie-Ikone wurde, zum bestbezahlten und meistgehassten Autor Amerikas; und wie sehr er sich zwischen Drogen, Ficks und Partys nach Geborgenheit sehnte. Deshalb möchte sich Bret Easton Ellis in „Lunar Park“ genau dieses Glück zum Geschenk machen: als mittlerweile vierzigjähriger Schriftsteller mit der natürlich vollkommen top aussehenden Filmschauspielerin Jayne Dennis, dem gemeinsamen Sohn Robby und Stieftochter Sarah in einem New Yorker Vorort Frieden schließen mit dem Leben.

Ehe? Leben? Kinder? Glück? Nein, nur die nächste Hölle. Ellis wäre nicht der Schriftsteller Bret Easton Ellis und seit „American Psycho“ bekennender Nihilist von Dostojewski’schem Kaliber, würde er seinem Ich-Erzähler namens Ellis nicht all dies verwehren. Robby will ihn nicht als Vater akzeptieren, Sarah ist mit kaum sechs Jahren bereits tablettenabhängig, und weil Jayne daran zweifelt, dass er sie und die Kinder liebt, müssen die beiden zu wöchentlichen Sitzungen beim Mediator. Jeder Wunsch nach family values verwandelt sich in eine Karikatur, doch das ist seit John Updikes und Kurt Vonneguts spöttelnden Suburb-Sagas keine neue Einsicht.

Auch sonst macht Ellis keinen Hehl aus seinen Vorbildern. Der schubweise Horror – vom poltergeisternden Eigenheim bis zum mörderischen Kinderspielzeug – scheint die Kurzgeschichten Stephen Kings, etwa „The Monkey“ von 1985, zu recyceln; und die Idee, dass Ellis seinen Ich-Erzähler als Alter Ego des „echten“ Ellis ausgibt, stammt von Philip Roth, der in den Achtzigerjahren in Romanen wie „Täuschung“ oder „Operation Shylock“ gern einen fiktiven Schriftsteller namens Philip Roth ins Zentrum des Geschehens stellte.

„Lunar Park“ reizt diese Endlosspiegelung hartnäckig und behende aus. Ständig tauchen reale Celebrities aus dem Leben auf, das der wirkliche Ellis bislang führte. Dabei hat sich dessen Ich-Figur gerade erst vom Partyalltag zurückgezogen, um an einem Provinz-College Kurse in Creative Writing zu geben. Dass er Studenten unterrichtet, die wie Ellis schreiben lernen wollen, weil nur so Ruhm und Glamorama winken, ist seine Art, Ironie zu zeigen; dass der nächste Roman, an dem der Ellis in „Lunar Park“ arbeitet, „Teenage Pussy“ heißen soll, auch. Irgendwann überlagern sich die multipler werdenden Persönlichkeiten des Bret Easton E., der schriftstellernde Ellis schaut seinem Erzähler über die Schulter, kommentiert dessen anschwellenden Realitätsverlust („Du steckst knietief in der Scheiße“), und man selbst fragt sich am Ende nach gut 450 Seiten verstrahltem Mystery-Pulp: Ellis, Ellis, who the fuck is Ellis?

Aber wer liest schon Bret Easton Ellis auf der Suche nach Neuigkeiten oder gar Authentizität? Kein anderer Autor (außer vielleicht Andy Warhol) hat mit dermaßen viel Detailversessenheit aufgezeichnet, wie sehr sich Dinge, Menschen, Gefühle und Waren angleichen, wiederholen, wie sie Listen bilden, Serien formen, zu Kopien werden. Schreiben ist für Ellis ein unentwegter Prozess der Verdinglichung, bei dem Leben verdaut und als Textmaterial ausgeschieden wird: unnahbar fremd und heiß begehrt zugleich. Deshalb waren Bücher wie „American Psycho“ oder „Glamorama“ dem revoltierenden Denken de Sades näher als irgendwelcher pornografischer Action.

Auch „Lunar Park“ ist von solch inflationärem Gebrauch der Zeichen durchdrungen. Jetzt achtet Ellis eben auf die Marken von Geschirrspülmaschinen und darauf, dass die Hermès-Kaffeetasse so akkurat platziert ist, wie es die Werbeanzeige in AD vorsieht. Das Haus, in dem er wohnt, beschreibt er mit einem schwärmerischen Zitat aus Elle Decor, ständig leuchten Gegenstände im warmen New-Age-Licht, weht ein Hauch von Aromatherapie durchs Zimmer. Doch es geht nicht um eine Feier der Äußerlichkeit, sondern um genaue Beobachtung: Selbst den eigenen Sohn versteht der Ich-Erzähler besser anhand seiner Sammlung von Playstation-Games und DVDs als in Gesprächen, bei denen Intimität ohnehin bloß vorgetäuscht ist, sodass er nicht weiß, „ob ein Schauspieler neben mir auf dem Beifahrersitz saß oder mein Sohn“. Und die Konflikte mit Jayne verlaufen derweil mit der Präzision von Spielberg’schen Regieanweisungen.

Wer vom neuen Ellis weniger Apokalypse oder gar richtiges Leben jenseits der coolen Oberflächen erwartet hatte, wird seitenweise mit esoterischem Frauenzeitschriftsquark abgefüttert; wer noch mehr puren Splatter will, bekommt aber auch bloß ein anrührendes Beziehungsdrama. Letztlich will Ellis schon wissen, wie das kleinfamiliäre Dreieck Mutter-Vater-Kind funktioniert. Nur schafft er es nicht, die Bauteile wieder richtig zusammenzusetzen, nachdem er heftigst an den Binnenverhältnissen geschraubt hat. Indem er dem Sohn dieselbe Gleichgültigkeit entgegenbringt, die er an seinem eigenen Vater so sehr verachtete, wiederholt er dessen allmähliche Entfremdung.

Zu dieser bewussten Absage ans Menscheln und Monstern passt auch der Plan, dass Ellis „Lunar Park“ aussehen lassen will, als würde das Buch auf die Bewältigung der eigenen Biografie abzielen. Der Autor als Freud-Freak – dauernd stößt man auf diese Spuren, alles scheint zu stimmen: Der Vater, gegen den sich seine ganze Wut richtet und der als Vorbild für den psychopathischen Killer Patrick Bateman diente, steht von den Toten wieder auf und spukt gleich in mehreren Inkarnationen durchs Geschehen. Mal verwandelt er sich in eine Vogelpuppe von Sarah, die im Garten Eichhörnchen massakriert; mal hat er als Dämon von einem Studenten Besitz ergriffen, der Ellis plötzlich nachstellt. Dass der junge Mann den selben Mercedes wie sein Vater fährt, ist ein Trick mehr, um das Feedback der Erinnerung heftiger fiepen zu lassen.

Doppelgänger, Wiedergänger. Déjà-vu-Loops und schleichende Paranoia. Diese Fährten durchziehen „Lunar Park“ nicht nur als Gothic-Gespinst, sie strukturieren überhaupt das Wirrwarrspiel, das Ellis betreibt. Denn die Wahrnehmung jener Wirklichkeit, die dem Erzähler entgleitet, könnte ebenso gut ein Echo nach zu viel Wodkas und Kokain sein, vielleicht auch ein Nebeneffekt des Klonopin.

Oder ist es doch eine Strategie des Autors, sich gegen die Eingewöhnung in der Normalität zu wehren? Ellis kennt das Problem, die Ambivalenz zwischen gelebtem Leben und literarischer Selbstausbeutung: „Ich brauchte Klarheit. Ich musste die Welt unter Kontrolle bringen. Der Schriftsteller verlangte nach Chaos, Geheimnis, Tod. Daraus bezog er seine Inspiration. Der Schriftsteller wollte Bomben detonieren sehen.“

Dieser Widerstreit bleibt in der Schwebe. Der Schriftsteller Ellis will über die Wirklichkeit triumphieren, indem er sie durch den Fleischwolf der Fiktion dreht; also muss er dafür sorgen, dass sich diese Fiktion so realistisch anfühlt, als habe sie sich für ihn tatsächlich zugetragen. Das ist der Zwiespalt, den Ellis in stets absurdere Konstellationen zwingt. Wer sonst würde auf die Idee kommen, einen Privatdetektiv mit Sätzen wie „Sie sind keine Kunstfigur, Mr. Ellis, hab ich Recht?“ auszustatten, zumal er später selbst als geistesgestörter Stalker die grausamen Morde begeht, die in „American Psycho“ geschildert wurden?

Offensichtlich macht sich „Lunar Park“ einen Spaß daraus, jede Art der Einfühlung auf Grund laufen zu lassen. Wenn schon Psychologie, dann bitte gleich Parapsychologie! Mordgierige Kuscheltiere und Hunde mit dem bösen Blick? Ellis gibt sich enorme Mühe, das Unbewusste zum Lachen zu bringen. Dabei ist eine Groteske entstanden, die etwas von der Schauerromantik E. A. Poes hat und vom atmosphärisch dichten Gewaber aus David-Lynch-Filmen. Zugleich ist „Lunar Park“ eine enorm konsequente Gesellschaftssatire: Im Amerika nach 9/11 werden die Ängste nicht unbedingt von konkret drohendem Terror gespeist, sondern von der fixen Idee absoluter Sicherheit. Wo das Schutzbedürfnis so zwanghaft wird wie in „Lunar Park“, muss man sich quasi vor sich selbst schützen. Das ist die Wunde, die Ellis zeigt, und sie blutet gewaltig.

Bret Easton Ellis: „Luna Park“. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 458 Seiten, 22,90 €