Süßer Triumph

Zaghafte Schritte auf dem Weg zum Hannemann-Jahr: Ein Autor und sein erstes Buch – ein Erfahrungsbericht

Seit Ende Oktober steht mein Buch bei Karstadt am Herrmannplatz im Berliner Stadtteil Neukölln auf dem Büchertisch, Rücken an Rücken mit den Werken der Lesebühnen- und Verlagskollegen Daniela Böhle, Hinark Husen und den Brauseboys. In jeweils zehn Exemplaren hat man sie auf den „Berlin“-Tisch gestellt, neben Bildbänden mit Stadtansichten und „Zille sin Milljöh“ – warum nicht gleich in die Kochbuchecke?

Gegenüber von Karstadt wohnend, ertappte ich mich bald dabei, wie mich wirre Vorwände allwöchentlich in das Kaufhaus und dort wie automatisch in die Buchabteilung trugen. Dort betrachtete ich die notorisch unberührten Bücher jeweils mit gespielter Neugier: „Interessant – das ist ja interessant“, oder, wenn jüngere Leute vorbeikamen, auch einfach nur: „Boah, ey!“

Es half nichts. Nichts rührte sich. Ich erhöhte die Frequenz auf alle drei Tage und ließ dafür die albernen Ausreden weg – auch der Bauer sieht schließlich jeden Tag nach seinen Tieren. Vor den Bildschirmen in der Überwachungszentrale beeierten sich bestimmt die Detektive: „Da steht wieder dieser Spinner vor dem Berlin-Tisch. Was ist denn das – nee, das gibt es doch nicht, das ist doch wohl nicht wahr? Nee jetze! Guck mal: Heult der etwa schon wieder?“ Dann waren sie kurz abgelenkt, als sie bemerkten, dass „Zille sin Milljöh“ ausverkauft war und sie eine neue Palette ordern mussten. Ich nutzte den Moment, um das vorderste meiner Bücher schräg hinzustellen, damit es sich von den anderen abhob, es so aussah, als hätte es schon mal jemand in die Hand genommen, und ich noch besser überprüfen konnte, ob dieser Fall tatsächlich einmal eintrat. Am liebsten hätte ich es gestohlen, um einen echten Kauf zu simulieren, doch wegen der Kameras traute ich mich nicht.

Beim nächsten meiner mittlerweile täglichen Rundgänge stand das Buch noch immer in derselben Position vor seinen neun Geschwistern. Dafür hatte ich den Verdacht, dass jemand Hinarks Buch angefasst hatte – der Umschlag schien etwa einen Millimeter weit geöffnet. Ich machte einem Arbeiter Platz, der auf einer Sackkarre einen zwei Meter hohen Stapel von „Zille sin Milljöh“ durch den Gang rangierte, und überlegte. Dann rückte ich Hinark wieder zurecht, riss mir vier graue Haare aus und legte je eines akkurat quer über die jeweils vordersten zwei Bücher.

Am 10. Dezember geschah etwas sehr Schönes: Auf meiner 11-Uhr-Runde fehlte sowohl von den Brauseboys als auch von mir jeweils ein Buch. Verkauft! Ob von einem Betrunkenen mit „Zille sin Milljöh“ verwechselt oder nicht – dem Tapferen hilft das Glück. Da ließ es sich leicht verschmerzen, dass bei Daniela und Hinark die Haare weg waren. Welch süßer Triumph! Um wie viel intensiver schmeckt so ein bescheidener und doch in all seinen Phasen mitgelebter Erfolg einem kleinen Autoren wie mir als einem großen die leblose Nachricht, dass diesen Monat schon wieder 10.000 Exemplare von „Zille sin Milljöh“ an eine amorphe Käuferschaft gegangen sind.

Ich empfinde tiefstes Mitleid für diese arrivierten und deshalb gewiss in ihren Seelen bis auf den eisigen Grund abgestorbenen Kollegen. Sie müssen sich fühlen wie saturierte Bayernfans – jede weitere deutsche Meisterschaft entlockt ihnen nur noch ein Gähnen, jeder Nobelpreis ein depressives Achselzucken. Mir dagegen ist jedes verkaufte Buch eine persönliche Reichsbuchmesse.

Eine Woche später fehlte auf einmal das zweite Buch der Brauseboys, während Daniela mit mir gleichgezogen hatte! Meine lieben Verlagskollegen, diese gottverdammten Schweine, drohten, mich aus dem Boot zu schubsen. Aber nicht mit mir! Ich bestellte ihre fehlenden Bücher bei Amazon nach und ließ von bestochenen Wachschutzleuten über Nacht den Fehlbestand ergänzen. Endlich sah es wieder so aus, als verkaufte sich nur mein Buch, und das würde wiederum weitere potenzielle Käufer anlocken wie der Kot die Fliegen.

Um die Lage noch besser im Griff zu haben, versah ich schließlich den Berlin-Tisch mit Bewegungsmeldern, die ich zwischen zwei Türmen „Zille sin Milljöh“ aufhängte. Seitdem zelte ich in der Campingabteilung im dritten Stock. Ein Fuchs bin ich schon. ULI HANNEMANN

Das im Text erwähnte Buch heißt „Hähnchen leider“ und erscheint im Satyr Verlag, Berlin 2005, 12,90 €