Der Charme des Einfachen

Weil SPD und CDU auch ein „Reförmchen“ des Wahlrechts scheuen, bemüht sich „Mehr Demokratie“ jetzt um die Unterstützung für ein Volksbegehren. Letzter Ausweg: Die Fusion mit Niedersachsen

Bremen taz ■ Der viel zitierte „Volksauflauf“ war das noch nicht. Zur Debatte stand, einmal mehr, die von SPD und CDU beerdigte Reform des bremischen Wahlrechts. Und es war eher der Kreis der üblichen Verdächtigen, der da am Dienstag in der Arbeitnehmerkammer zusammenkam. Und so hatte auch Björn Tschöpe allen Grund zu frohlocken. Der SPD-Abgeordnete ist ein erklärter Anhänger des alten Prinzips „one man, one vote“. Alle Bestrebungen der Bürgerinitiative „Mehr Demokratie“, den Bremern mehr als nur eine Stimme an die Hand zu geben, sind ihm suspekt.

Zwar unterstützt auch Bremens Alt-Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) die Forderungen von „Mehr Demokratie“. Zwar ist es kaum mehr als ein Jahr her, da wollte auch SPD-Chef Carsten Sieling den BürgerInnen „mehr Mitsprachemöglichkeiten“ einräumen. Doch auch Sieling ist „klüger“ geworden, sagt Tschöpe. Und will alles so lassen wie es ist.

„Mehr Demokratie“ hingegen will nun nach dem Hamburger Vorbild ein neues Wahlrecht per Volksentscheid durchsetzen – und baut dabei vor allem auf die Hilfe der kleinen Parteien und derGewerkschaften. Ab März sollen zunächst 6.000 Unterschriften gesammelt werden, später müssten noch einmal 48.000 UnterstützerInnen gewonnen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung, dass die WählerInnen bei Landtagswahlen künftig fünf Stimmen haben, die sie auf mehrere KandidatInnen und Parteien frei verteilen (kumulieren und panaschieren) können.

Doch für Tschöpe ist das „kein Zugewinn an Demokratie“. Sondern nur eine „ausgesprochen charmante Möglichkeit“, sich besser auszudrücken – „für eine Minderheit von Wählern“. Auch für Heiko Strohmann (CDU) stehen „Aufwand und Nutzen“ eines solchen „Reförmchens“ in keinem Verhältnis, schon gar nicht angesichts der Mehrkosten, die damit verbunden seien.

Der frühere SPD-Abgeordnete Horst Isola hatte noch ein weiteres Gegenargument parat: Die SPD sei eine „Programmpartei“, in der Kandidaten gesucht würden, die nach der Wahl auch das zuvor verabschiedete Parteiprogramm vertreten. Mit dem Kumulieren und Panaschieren hingegen, hob Isola an, „steigt die Versuchung, sich gegen die eigene Partei zu profilieren“.

Zugleich sprach sich Tschöpe für „robuste Veränderungen“ bei der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene aus: Die Hürden für Volksbegehren sollten gesenkt werden, auch von einer Stärkung der Beiräte und Bürgerbegehren auf Ortsamtsbene war die Rede. „Da können wir drüber reden“, warf Strohmann ein, und erinnert sich an „alte Forderungen“ der Jungen Union (JU), damals, als Jens Eckhoff, heute Senator, noch JUler war. Und der Grünenpolitiker Matthias Güldner wollte SPD und CDU sogleich beim Wort nehmen: „Das können wir alles schon in der nächsten Woche beschließen“. Doch so schnell wird das nichts: Da ist der Koalitionsvertrag vor, hieß es.

Sollte das Volksbegehren am Ende scheitern, bleibt dennoch eine weitere Hoffnung: Die Fusion Bremens mit Niedersachsen. Dort darf man nämlich kumulieren und panaschieren. Jan Zier