„Korruption breitet sich wie eine Krake aus“

Einladungen von Politikern sind keine Eon-Spezialität

taz: Herr Roth, Eon bezahlt Auslandsreisen für Kommunalpolitiker. Ein Fall von Korruption?

Jürgen Roth: Die Vorgänge stinken zum Himmel. Die Energiewirtschaft ist für Korruption extrem anfällig. Schon in der Vergangenheit haben sich die Unternehmen immer wieder Politiker gekauft. Gerade in Nordrhein-Westfalen gibt es dafür viele Beispiele.

Wieso ist die Branche so anfällig für Korruption?

Die Energie kommt aus Ländern, wo Korruption zum Alltagsgeschäft gehört. Denken Sie nur an die russische Gazprom. Eon hat niemals die Machenschaften von Gazprom kritisiert. Zu Gazproms Praktiken gehört es, sich Politiker in den Ländern der ehemaligen UdSSR zu kaufen, um billig an Energie heranzukommen. Die dortigen Potentaten sind alle von Gazprom geschmiert worden. Da geht es um Milliardenbeträge. Geld, das dort den Diktatoren das Überleben sichert. Deutsche Energiefirmen können nicht in diesem Dreck wühlen und so tun, als hätten sie saubere Hände.

Handelt es sich bei der neusten Enthüllung als nur um die Spitze eines Eisbergs?

Ganz bestimmt. Wenn Sie in anderen Bundesländern suchen, würden sie das genau so finden. Nur sind dort die Staatsanwaltschaften oft nicht so engagiert.

Was lässt sich das Gemauschel von Politik und Wirtschaft verringern?

Das Problem löst man nur mit mehr Wettbewerb, den eine obere Bundesbehörde kontrolliert. Nur wer soll das im Bundestag durchsetzen? Die Mehrheiten sind nicht so. Jeder will an die Pfründen heran. Die SPD als die Partei der Energiewirtschaft wird sich hüten, daran irgendetwas zu ändern.

Wie verbreitet ist der Filz zwischen Wirtschaft und Politik in Deutschland?

Korruption hat sich in Deutschland wie eine Krake ausgebreitet. Wir wissen noch nicht einmal ansatzweise, wie weit die Verstrickungen zwischen Großkonzernen und der politischen Elite gehen. Die Energiewirtschaft ist nur ein Beispiel von vielen. Da geht es nicht nur um Reisen, sondern um Vergünstigungen und Posten in öffentlichen Unternehmen. Oft gehen die politisch Verantwortlichen von der Stadtverwaltung in die Energiewirtschaft hinein. Ich kenne kein Beispiel, wie unter solchen Bedingungen eine richtige Aufsicht über diese Betriebe geführt wird.

Die Gehaltslisten der Energiewirtschaft lesen sich wie ein Who-is-who der deutschen Politik. Darauf sind frühere Minister wie Werner Müller oder Klaus Kinkel oder auch Spitzenpolitiker wie Laurenz Meyer.

Das sind Symbolfiguren der unheilvollen Verstrickung zwischen Politik und Energiewirtschaft. „Die Politiker müssen etwas von der Wirtschaft lernen“ ist das dumme Totschlagargument für diesen Filz. Nur der Einzige, der es teuer bezahlen muss, ist der Bürger.

INTERVIEW: TARIK AHMIA