Rot-Rot dealt mit der Verfassung

SPD und Linkspartei wollen noch bis zur Wahl Volksbegehren im Land vereinfachen – und dem Regierungschef mehr Macht geben. Die Verfassung wird so Gegenstand eines Tauschhandels

VON ULRICH SCHULTE

Ein guter Geschäftsmann muss flexibel sein. Das weiß Michael Müller, Landes- wie Fraktionschef der SPD und damit ihr oberster Ideenhändler. Noch Ende November sagte er, die Zeit bis zur Wahl sei zu knapp, um Volksbegehren auf Landesebene zu vereinfachen. Jetzt, fast zwei Monate später, sagt Müller: „Es gibt eine gute Chance, das Instrument bürgerfreundlicher zu formulieren.“ Bis zur Wahl, versteht sich. Der Stimmungsumschwung kommt nicht von ungefähr. Der SPD wird dafür ein eigenes Herzensanliegen erfüllt: mehr Macht für den Regierenden Bürgermeister.

Der Deal, den Linkspartei-Fraktionschef Stefan Liebich vorsichtig „Paket aus zwei Teilen“ (siehe Kasten rechts) nennt, funktioniert so: Die Linkspartei darf endlich den Plan verwirklichen, dem Volk mehr Macht auf Landesebene einzuräumen. Die SPD willigt ein, obwohl viele Sozialdemokraten erst mal beobachten wollten, wie die im Sommer 2005 in den Bezirken eingeführten Bürgerbegehren funktionieren – nicht zuletzt Müller selbst.

Dafür macht auch die Linkspartei ein Zugeständnis. Sie stimmt einem SPD-Wunsch zu, den sie immer ablehnte: Der Regierende Bürgermeister soll künftig seine Senatoren selbst berufen und notfalls rauswerfen dürfen. In den meisten anderen Bundesländern sei nicht üblich, dass das Parlament jeden Minister wähle, sagt Liebich (s. Kasten unten). „Dass der Regierende Bürgermeister seine Senatoren selbst bestimmt, ist vernünftig.“ Auch Liebich ist ganz Geschäftsmann und passt seine Argumente den Gegebenheiten an. (Originalton Aug. 2004: „Wowereit weiß sich auch so im Senat durchzusetzen.“)

Business as usual? Nicht ganz. Der Handel ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Um beide Projekte gab es ein jahrelanges Hickhack. Ausgerechnet acht Monate vor der Wahl herrscht nun plötzlich Einigkeit. Außerdem verbindet das Kompromisspaket zwei Themen, die so gar nicht zueinander passen – mehr Macht für viele unten einerseits, mehr Macht für einen oben andererseits. „Schon sehr erstaunlich“ findet das Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Aber: „So funktioniert Realpolitik.“ Die SPD habe beim Volksbegehren eingesehen, dass sie sich dem Druck von außen nicht entziehen könne. „Dann hat sie eben ein Zugeständnis vom Koalitionspartner verlangt.“

Der politische Kuhhandel bringt beiden Seiten Vorteile: Klaus Wowereit, der nach derzeitigem Stand der Umfragen wieder Regierender Bürgermeister wird, kann sich nach der Wahl im September sein Team selbst aussuchen. Und, noch wichtiger, er kann renitente Senatoren auf Linie bringen, indem er mit Rausschmiss droht. Auch die Linkspartei gewinnt viel. Sie hat kurz vor knapp noch ein urlinkes Anliegen umgesetzt und kann sich im Wahlkampf profilieren.

In der Linkspartei-Fraktion ist man mit dem Handel mehr als zufrieden. „Für die Bürger sind Volksbegehren entscheidend. Und wie sich Wowereit verhält, weiß jeder“, hieß es. Im Klartext: Regierungschef Wowereit redet längst allen SenatorInnen rein. Findet er ein Thema wichtig, entscheidet er es im Chefgespräch – wie bei den Verhandlungen über den BVG-Tarifvertrag oder bei der Diskussion um den Umzug der Bahnzentrale.

Der Handel ist aber noch nicht perfekt. Für beide Projekte muss die Verfassung geändert werden. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, und die hat Rot-Rot nicht. Das Geschacher geht also weiter – und die Opposition darf mitfeilschen.