„Kreative Bürger sind die beste Beratung“

Viele Aktivisten, produktive Debatten, gute Ideen – mit den bisherigen Ergebnissen des Bürgerhaushalts Lichtenberg ist Projektleiter Ernst-Ulrich Reich zufrieden. Doch das nächste Vorhaben dieser Art soll mehr Mitsprache ermöglichen

taz: Herr Reich, die Diskussion über den Bürgerhaushalt in Lichtenberg ist beendet. Welches Fazit ziehen Sie?

Ernst-Ulrich Reich: Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erweist sich für uns als Verwaltung bereits jetzt als so ergiebig, dass man sie – auch andernorts – nicht zur Kür, sondern zur Pflicht erheben sollte. Das kreative Potenzial der Bürger ist die beste Unternehmensberatung für eine Verwaltung.

Bisher berieten die BürgerInnen nur unter sich. Auf politischer Ebene ist noch nichts geschehen. Was veranlasst Sie zu solcher Euphorie?

Neben den sehr produktiven Debatten, die wir auf den Bürgerversammlungen beobachten konnten, sind zahlreiche konkrete Ideen entstanden, die ohne dieses Forum nie aufgetaucht wären. Es gibt zum Beispiel eine Initiative von Jugendlichen, die ehrenamtlich für ältere Menschen einkaufen gehen wollen. Diese unterstützen dafür dann finanziell Jugendeinrichtungen. Dies sind Nebeneffekte, die sonst nicht entstehen.

Kein kritisches Wort?

Natürlich gab es Probleme: Etwa die Hälfte der Ideen, die im Rahmen der Bürgerversammlungen vorgeschlagen wurden, waren entweder haushaltsrechtlich nicht machbar, oder sie betrafen Haushaltsposten, die hier nicht zur Debatte standen – noch nicht.

Zum Beispiel?

Wir hatten sehr viele Vorschläge zur Verbesserung der Situation in den Kindertagesstätten. Dieser Haushaltsbereich war im Rahmen der 30 Millionen Euro, die zur Verfügung stehen, aber nicht vorgesehen. Andere Vorschläge betrafen Dinge, die außerhalb unserer bezirklichen Zuständigkeiten lagen.

Haben Sie die Grenzen des Bürgerhaushalts nicht präzise genug erklärt?

Wir haben uns sehr bemüht, von vornherein deutlich darauf hinzuweisen, was geht und was nicht. Vielleicht war der gesetzte Rahmen zu eng. Wir müssen allerdings auch sehen: Es war der erste Durchlauf dieser Art überhaupt. Und ehrlich gesagt: Ich freue mich, dass gerade diese vielen Vorschläge gekommen sind. Auch wenn sie noch nicht umsetzbar sind – an ihnen können wir sehen, welche Bedürfnisse die Menschen haben.

Die BürgerInnen haben also auch viele Dinge artikuliert, die nicht in das Raster des Bürgerhaushalts passen. Was passiert mit diesen Vorschlägen?

Politik und Verwaltung werden sich auch dieser Vorschläge annehmen. Zum Beispiel werden wir ab sofort ehrenamtliche Tätigkeiten koordinieren oder, wie vorgeschlagen, Hundeauslaufgebiete ausweisen. Letzteres wurde bereits in der letzten Woche veranlasst.

Was bedeutet es für das Projekt, wenn sich Anregungen der BürgerInnen nicht im Bürgerhaushalt wiederfinden?

Das sind ganz normale Vermittlungsschwierigkeiten zu Beginn jedes Prozesses. Wir müssen aus ihnen lernen. Wenn sich die Wünsche der Menschen noch nicht komplett im Bürgerhaushalt wiederfinden, dann müssen nicht die Leute ihre Wünsche ändern, sondern wir müssen uns bewegen. Die Schlussfolgerung lautet: Der nächste Bürgerhaushalt muss ausgeweitet werden.

MARTIN KAUL