„Eine Integrationshilfe, keine Zwangsgermanisierung“

Berlins Schulsenator Klaus Böger befürwortet es, wenn „Man spricht Deutsch“ auch auf dem Schulhof gilt. „Wie ein kleiner Gesellschaftsvertrag“

taz: Herr Böger, Berliner Lehrer sollen die Schüler in der großen Pause zum Deutschsprechen ermuntern. Das ist ja für alle Beteiligten total nervig.

Klaus Böger: Das sehen die entschieden anders. Eine Oberschule in Berlin hat das in ihrer Schulkonferenz mit Schülern, Lehrern und Eltern so beschlossen. Nicht nur im Unterricht, sondern auch im informellen Gespräch wollen und sollen die Schüler Deutsch sprechen. Ich finde das gut …

jemandem auf dem Schulhof im privaten Gespräch zu observieren, ob er Deutsch spricht? Herr Böger!

Observation ist Quatsch. Selbstverständlich wird niemand einen Schüler, der sich in einer tief emotionalen Situation befindet, dumm anmachen.

Also Liebeserklärungen sind auch auf Türkisch möglich. Prima. Was soll das Deutschgebot bringen?

Es ist doch eine Binsenweisheit, dass Sprachenlernen immer dann gestützt wird, wenn die Schüler auch jenseits des Unterrichts Deutsch sprechen. In dieser Schule gibt es übrigens mehr als 90 Prozent Schüler nichtdeutscher Herkunft. Türken, Araber, Asiaten, Kroaten, Pakistani, Tschechen verständigen sich dann am besten, wenn sie die Sprache des Landes benutzen, in dem sie willkommen sind: Deutsch.

Was tun die Lehrer, wenn das Gebot nicht eingehalten wird? Fliegen die Delinquenten von der Schule, bekommen sie einen Verweis?

Weder das eine noch das andere wird geschehen. Die Lehrer sprechen die Schüler an. Das nennt man pädagogisches Gespräch. Das ist genauso, wie wenn die Schüler Böger oder Füller das Pausenbrotpapier fallen lassen oder zu raufen beginnen. Ein Fall für die Pausenaufsicht. Die Rektorin berichtet mir, dass nun allen an der Schule bewusst ist: Man spricht Deutsch! Es gibt seitdem mehr Anmeldungen an dieser Schule – übrigens vor allem von Eltern nichtdeutscher Herkunft.

Wäre es nicht besser, den Migranten durch witzige Angebote Lust auf Deutsch zu machen – anstatt Lehrer als Sprachpolizei über den Schulhof zu schicken?

Lust und Freude an der deutschen Sprache werden doch nicht weniger, weil die Schulordnung das will. Das Papier ist durch gemeinsame Übereinkunft aller am Schulleben Beteiligten zustande gekommen. Das ist ein kleiner Gesellschaftsvertrag, ein Contrat social, und kein obrigkeitlicher Sprachbefehl.

Erst das Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Dann der diskriminierende Muslimtest. Nun verbietet ein Sprach-Ukas das Türkische auf dem Schulhof. Bisschen viel auf einmal, oder?

Sie bringen Dinge zusammen, die nicht zusammengehören. Der Berliner Senat lehnt den Gesinnungstest für Muslime ab und praktiziert ihn also nicht. Unser Kopftuchverbot bezieht sich auf Lehrerinnen im Unterricht und nicht auf Schüler. Und für Deutsch auf dem Schulhof gibt es überhaupt keine Order Böger. Ich halte viel von Eigenverantwortung der Schulen. Ich unterstütze den Beschluss der Schulkonferenz. Und ich gehe so weit, dies allen Berliner Schulen zu empfehlen. Nur wird es keinen Befehl des Bildungssenators geben.

Aber Sie und die Fraktion der SPD haben die Deutschorder ausdrücklich für gut erklärt. Da müssen die Schüler doch den Eindruck haben, sie dürften nicht mal mehr in den Pausen ihre Muttersprache sprechen.

Es ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Integration, die Sprache des Landes zu lernen. Es geht doch hier nicht um eine Art Zwangsgermanisierung, sondern um Hilfe zur Integration und das Ausschöpfen des Bildungspotenzials.

Werden Sie die Idee auch der Kultusministerkonferenz vorschlagen?

Nein, ich bin nicht der Prädiktor.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER