jazzkolumne
: Der Neotraditionalismus ist am Ende

Jazz als Haltung im großen stilistischen Durcheinander der Gegenwart: Der Pianist Brad Mehldau kommt auf Tour

Heute gilt er als der große Virtuose des zeitgenössischen Jazzpianos, doch die immer noch junge Geschichte des Pianisten Brad Mehldau ist auch eine der Sucht und Suche nach einem Ausweg. Mehldau findet, dass seine überstandene Heroinsucht kein Thema für seriöse Musikjournalisten sein sollte, weil es eben nichts über die Musik aussage. Ebenso seien Glaubensfragen keine verlässlichen Koordinaten im Network der Monografen. Wagner und Strauss hätten sehr viel „menschliche Musik“ geschaffen, „voller Seele“. Ergo: „Man kann ein Riesenarschloch sein und trotzdem große Kunst produzieren.“

Mehldau ist Pianist, er stammt aus Florida, kennt sich bei Thomas Mann aus, liebt Beethoven und zitiert Rilke. Er ist ein Musiker, der nicht akzeptiert, wenn die – ursprünglich nicht notierte – Jazz-Improvisation gegenüber einer klassischen Komposition als minderwertig eingestuft wird. Sein Spiel wurde von Kritikern oft mit dem des „Kind of Blue“-Pianisten Bill Evans verglichen, für den schon seit über zwanzig Jahren ein Nachfolger gesucht wird. Allein: er will davon nichts wissen. Er wähnt solche Typen gar rassistisch infiziert, will das Piano-Trio im Jazz nicht zum „sensitive-white-guys club“ degradiert wissen: „Ich habe keine Marginalisierung als Weißer im Jazz erfahren, doch es gab da ja den Witz über den Pianisten Bill Evans, den man auch ‚the great white hope‘ nannte. Damit spielte man auf das Sensible und Harmoniesüchtige in seinem Spiel an – dem Synonym schwächlich und weiß steht hier schwarz gleich maskulin und kräftig gegenüber.“

Zunächst hatte Mehldau sich als Begleiter des Saxofonisten Joshua Redman einen Namen gemacht, und doch dokumentieren gerade seine eigenen CDs das Ende der neotraditionalistischen Doktrin, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten dem Jazz viel Schaden zugefügt hat. Die Rechnung vieler Produzenten, junge Musiker dazu zu verdammen, alte Jazzhits nachzuspielen, zahlte sich selbst trotz geringer Kosten nicht aus.

Der studierte Musiker ist aber nicht nur als Pianist aktiv, sondern beteiligt sich auch schriftlich an der aktuellen Jazzdiskussion. In Leserbriefen an die New York Times oder das Fachblatt Down Beat sowie in den Liner Notes zu einigen seiner CDs konterte er besonders jenen Kritikern, die ihn als neuen Bill Evans abstempeln möchten. Wie schon der stolze Titel seiner 4-CD-Serie „Art Of The Trio“ andeutete, begreift Mehldau seinen Beitrag zur jüngeren Geschichte des Jazz als eigenständig. Vor drei Jahren fiel er zudem mit seiner zeitgenössischen Fusion-CD „Largo“ so aus dem Rahmen seiner Art-Of-The-Trio- und Solo-Aufnahmen, dass er selbst ganz verblüfft war. Der Titel „Largo“ bezog sich nicht nur auf die bekannte Tempobezeichnung, sondern auch auf einen Club in Los Angeles, in dem der Produzent der Platte, Jon Brion, jahrelang mit seiner Ein-Mann-Band das Freitagabendprogramm war.

Mehldau ist der Mann, der, als er noch mit dem Saxofonisten Joshua Redman auf Tour war, Interviewanfragen regelmäßig mit dem Satz „I’m Just The Piano Player“ abblockte. Doch das hat sich geändert. „Vielleicht bin ich etwas umgänglicher geworden“, sagt der heute 35-Jährige, der mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern in Amsterdam und New York lebt. „Jazz ist für mich das Rollenmodell – das, was John Coltrane aus ‚My Favorite Things‘ machte“, sagt Mehldau.

Dass er auf seiner aktuellen CD „Day Is Done“ (Nonesuch) wieder Songs von Nick Drake, Lennon/McCartney und Paul Simon interpretiert, hat für ihn nicht nur Marketingsaspekte. „Jazz hat sich immer beim Pop bedient, doch im Gegensatz zu Coverbands wie ‚Dread Zeppelin play Led Zeppelin‘ interpretieren wir die Stücke in unseren Sound und improvisieren darüber – interessant scheint mir, dass es für diese Herangehensweise noch keinen verlässlichen Terminus gibt.“

Für Mehldau ist es nicht wichtig, ob die Hörer das Original kennen oder nicht – es geht ihm um die aktuelle Performance. Aber natürlich spielt der Faktor, dass Leute die Stücke schon kennen, auch eine Rolle. „Wenn ich heute mit jungen Leuten spreche, dann hören sie Beatles, Sinatra und Radiohead – sie haben heute einen umfassenden Zugang zur Musik. Es ist aber auch denkbar, das ein junger Mensch sich Thad Jones oder George Coleman anhört, harten Bebop oder rauen Swing, und völlig begeistert ist. Ein wirklich guter Swing-Schlagzeuger ist für mich äußerst relevant, da muss ich nichts gegen haben, nur weil es nicht neu klingt.“

Für seine Generation, Mehldau spricht von zwischen 1965 und 1975 geborenen Musikern wie Joshua Redman und Beck, gebe es nun mal so einen postmodernen Meta-Blick, von dem aus alles verfügbar erscheint. Der Nachteil sei jedoch, dass es schwerer ist, eine eigene Position zu entwickeln: „Wir leben ja nicht gerade in einer revolutionären Phase, wir konsumieren, schaffen aber keine Identität, das meine ich sehr selbstkritisch.“ Wynton Marsalis habe sich mit seinem Projekt, den Jazz ähnlich der klassischen Musik gesellschaftlich zu institutionalisieren, nicht wirklich durchsetzen können.

Die aktuelle Koexistenz der Szenen birgt für Mehldau jedoch ein noch viel größeres Problem: den Mangel an Zentrum und Orientierung.

CHRISTIAN BROECKING

Brad Mehldau Trio im Februar: 18. 2., Kaiserslautern, 19. 2., Karlsruhe, 20. 2., Frankfurt, 21. 2., Berlin, 22. 2., Hamburg, 23. 2., Bremen, 26. 2., Memmingen, 27. 2., Stuttgart, 28. 2., Düsseldorf