Herr über 50.000 Mäuse

VON CHRISTIANE MARTIN

Der Chef residiert im ersten Stock. Den Keller seines Instituts betritt Jürgen Hescheler eher selten. Kein Wunder also, dass der Professor bei einer Führung durch das Untergeschoss die Lichtanlage nicht bedienen kann. So lässt sich im Dämmerlicht nur erahnen, wer hier haust: 50.000 Mäuse in Unmengen von Käfigen. Versuchstiere, die Hescheler, der das Neurophysiologische Institut der Uni Köln leitet, für seine Stammzellenforschung (siehe Kasten unten) braucht.

Etwas außer Atem vom Treppensteigen kehrt der Wissenschaftler in sein eigentliches Reich zurück. Mit bescheidenem Stolz zeigt er die Labors, in denen einige seiner Mitarbeiter auch nach Feierabend noch geschäftig mit Pipetten und Glasbehältern hantieren. Schließlich lässt sich Hescheler in den Sessel seines Arbeitszimmers sinken und lächelt zufrieden. Hier fühlt sich der kleine, kräftige Mann ganz offenkundig am wohlsten.

„Warum sich Zellen so oder so verhalten, welche Regulationsmechanismen manche haben und andere nicht – das fasziniert mich“, sagt der 46-Jährige in unüberhörbar saarländischer Mundart. Seine Augen blitzen hinter den Gläsern der randlosen Brille, die er auf der Nasenspitze trägt. Seine Stimme allerdings hebt sich dabei nicht, er gibt den nüchternen Wissenschaftler, den nichts aus der Reserve lockt, nicht mal die Begeisterung für den eigenen Forschungsbereich.

Dabei hat Hescheler bereits einige Bahn brechende Ergebnisse erzielt. 1994 begann der Kölner Neurophysiologe mit der Erforschung von Mäuse-Stammzellen. In eigens dafür entwickelten Verfahren markierte und selektierte er die, die sich später zu Herzzellen entwickeln. Als die Zellen reif genug waren, pflanzte er sie lebenden Mäusen ein, bei denen zuvor ein künstlicher Herzinfarkt ausgelöst worden war.

„Das ist eine richtige Operation mit Narkose und allem Drum und Dran, wie beim Menschen“, erklärt Hescheler. Nur die Beatmungsmasken seien natürlich mausklein und würden in der hauseigenen Werkstatt hergestellt. „Zuerst öffnet ein Herzchirurg fachmännisch den Brustkorb, dann wird eine tief gekühlte Kupferstange auf das offen liegende Herz gedrückt, so dass das Gewebe wie bei einem Herzinfarkt funktionsuntüchtig wird. Direkt danach werden etwa 100.000 Herzvorläuferzellen in die beschädigte Stelle gespritzt und der Brustkorb wieder verschlossen“, fährt Hescheler fort.

Die Mäuse hätten sich schnell erholt und den Herzinfarkt wie auch den Eingriff mit einem hohen Prozentsatz überlebt. Nach 40 Tagen seien sie getötet worden, Untersuchungen der Herzen hätten gezeigt, dass die injizierten Zellen sich tatsächlich zu rhythmisch pulsierenden Herzmuskelzellen entwickelt hatten.

Gefeiert hat Hescheler diesen Erfolg in der ihm bescheidenen Art und Weise. „Da ist dann schon gute Stimmung im Labor, wenn so etwas geklappt hat“, gibt er zögernd zu. Aber er bemühe sich generell, nicht all zu viele Emotionen ins Spiel zu bringen. „Man muss für sich selbst die Erwartungshaltung niedrig halten und oft glaubt man es ja beim ersten Mal auch gar nicht“, sagt er. Außerdem war das Erreichte noch nicht das Ziel seiner Träume.

„Logisch, dass wir das dann auch mit menschlichen Zellen ausprobieren wollten“, sagt Hescheler. Er habe bereits als Medizinstudent auf der kardiologischen Intensivstation erlebt, wie hilflos die Ärzte bei Herzinfarkten sind. „Ich dachte damals: Da muss man doch was machen können“, erinnert er sich.

In Deutschland unterliegt das Forschen an menschlichen Stammzellen allerdings strengen Restriktionen (siehe Kasten rechts). Erst nachdem Hescheler eine Sondergenehmigung bekam, konnte er 2002 in den USA eine so genannte Linie humaner Stammzellen erwerben und seine Untersuchungen fortsetzen. Dabei stellte er fest, dass die inzwischen patentierte Methode zur Markierung und Selektion der potenziellen Herzzellen nicht nur bei Mäusen, sondern auch bei menschlichen Stammzellen funktionieren könnte. Der Rettung todkranker Patienten durch neues Herzgewebe stünde also nichts mehr im Wege, wäre da nicht die Abstoßungsreaktion auf körperfremdes Gewebe. Ein nächstes Problem, vor dem Hescheler und sein Team nun stehen. Die Mäuse hatten die neuen Herzzellen nur deshalb nicht abgestoßen, da sie genetisch identisch waren. „Alle Mäuse und alle Stammzellen, die wir hier verwenden, stammen aus einer Inzucht und besitzen dieselben Gene“, erklärt Hescheler und holt lächelnd zu einer Anekdote aus. Vor 100 Jahren habe es in England eine Lady gegeben, die Mäuse züchtete, nur so zum Hobby. Als sie starb, seien ihre Schützlinge in ein Labor gegeben worden. „Das war der Anfang all unserer Versuchsmäuse“, erzählt er.

Um nun auch menschliches Gewebe zu züchten, das nicht abgestoßen wird, gibt es theoretisch verschiedene Möglichkeiten: beispielsweise das Herstellen individualspezifischer Stammzellen durch Klonen. Der koreanische Forscher Hwang Woo-suk hatte im Dezember 2005 Aufsehen erregt, weil er behauptet hatte, ihm sei genau das gelungen: mehrere auf schwer kranke Patienten zugeschnittene Stammzelllinien zu erzeugen. Dies stellte sich als Fälschung heraus. Hescheler hält das Klonen von menschlichen Stammzellen nicht für unmöglich, aber für zu kompliziert. Er plädiert dafür, mehr Grundlagenforschung zu betreiben. Wenn diese im Vordergrund stehe, könne es nicht passieren, dass einer wie Hwang falsche Ergebnisse publiziert.

Der Kölner Forscher will das Abstoßungsproblem anders lösen. Vor wenigen Wochen hat sein Institut eine weitere Sondergenehmigung zur humanen Stammzellenforschung erhalten. „Jetzt wollen wir die immunologischen Eigenschaften der Zellen untersuchen, herausfinden, was eine fremde Zelle überhaupt zur fremden Zelle macht“, sagt Hescheler. An seinem Institut habe man bei den Mäusen nämlich festgestellt, dass Stammzellen nicht abgestoßen würden. Erst wenn sie differenziert sind, werden sie als körperfremd wahrgenommen.

„Ob das so auf den Menschen übertragbar ist und ob man diese Stammzelleigenschaft erhalten kann, werden wir nun in einem neuen Projekt untersuchen“, erklärt Hescheler, der schon als Kind Naturwissenschaftler werden wollte. Als Schüler habe er sich vor allem für Mathematik und Physik interessiert. „Studiert habe ich dann allerdings Medizin.“ Das liege offenbar in der Familie, sein Großvater sei Apotheker gewesen, der Vater Arzt. Er selbst habe allerdings immer nur forschen wollen.