Grüne verstehen sich selbst nicht mehr

Parteifreunde aus Bund und Ländern kritisieren das Verhalten der Berliner Fraktionsspitze in der Geheimdienstaffäre

BERLIN taz ■ Untersuchungsausschuss unbedingt, Untersuchungsausschuss vielleicht doch nicht – die wechselnden Positionen der Grünen im Bundestag in der Geheimdienstaffäre verwirren und verärgern auch Politiker der eigenen Partei. Viele verstehen nicht, warum die Grünenfraktion nicht schon jetzt gemeinsam mit FDP und Linksfraktion einen Ausschuss einsetzt. Dieser müsste klären, was deutsche Geheimdienste im Irakkrieg und im US-Kampf gegen den Terror machten.

„Es ist der Eindruck eines Eiertanzes entstanden“, sagte der Chef des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Frithjof Schmidt, der taz. „In der Öffentlichkeit sind Zweifel am Aufklärungswillen aufgekommen. Das ist schädlich. Wie die Fraktionsführung den Parteiratsbeschluss umgesetzt hat, kann ich nicht mehr nachvollziehen.“

Auch in der gestrigen Fraktionssitzung wurden die Aussagen der Fraktionschefin Renate Künast kritisiert. Die Parteichefin Claudia Roth beklagte sich über „irritierende Begleitmusik“ zur im Parteirat abgestimmten Argumentationslinie. Ihr stimmten einige Abgeordnete zu. Der Fraktionslinke Winfried Hermann sagte zuvor zur taz: „Ich bin wie viele andere erschüttert über das mediale Desaster. Das Medienecho lässt sich nicht auf böswillige Journalisten zurückführen. Das muss auch etwas damit zu tun haben, wie wir unsere Position kommuniziert haben.“

Am Montag war Künast aus einem Treffen mit Kabinettsmitgliedern und dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) mit der Ansage herausgekommen: „Die Notwendigkeit für einen Untersuchungsausschuss ist eher kleiner geworden.“

Trotz diverser Wünsche nach einer Glättung der Kommunikation gab es in der Fraktion gestern keinen nennenswerten Widerstand gegen die Linie, der Bundesregierung nun bis Mitte Februar Zeit zur Aufklärung zu geben. Vor einer Woche noch hatte sich die komplette Fraktion minus Ex-Außenminister Joschka Fischer für einen U-Ausschuss entschieden, der Parteirat erst am Montagmittag ebenfalls.

Das Vorgehen der Oppositionskollegen kritisierte die Grünen-Fraktionsspitze gestern heftig. FDP und Linksfraktion hatten am Montagabend begonnen, Unterschriften für einen Antrag zu sammeln, den U-Ausschuss sofort einzusetzen. Künast nannte FDP und Linke dafür „kindisch“. Ihr Ko-Fraktionschef Fritz Kuhn sprach von „Firlefanz“ und einer „Vorführnummer“. Gleichzeitig aber luden Künast und Kuhn die Links- und Liberalen-Chefs für Donnerstag zum Gespräch, wie denn nun die Opposition gemeinsam weitermachen könnte.

Die Chancen, dass Grüne den aktuellen FDP- und Linken-Antrag unterzeichnen, sind derzeit gering. „Ich schätze nicht, dass da jemand von den Grünen mitmacht“, sagte Hermann und wünschte sich „eine andere, eigene Initiative“. Er halte es für nötig, dass die Grünen bald einen U-Ausschuss ermöglichen: „Wenn man das nicht macht, wird man uns jahrelang vorhalten, dass wir im Ernstfall kein Interesse an Aufklärung haben.“

Kuhn sagte gestern: „Mitte Februar wird es auf die Grünen ankommen“ – insbesondere das grüne PKG-Mitglied Christian Ströbele –, zu entscheiden, ob der Aufklärung Genüge getan sei. Wenn das PKG in sechs Wochen zutage fördern würde, „was sonst in einem Ausschuss eineinhalb Jahre gedauert hätte“ – gut. Wenn nicht, müsse eben doch ein U-Ausschuss her.

Ströbele erklärte gestern der taz, wie er sich die künftige Arbeit im PKG vorstelle: „Wenn die Regierung sagt, sie beantwortet jede Frage, sie gibt mir jede Akte, dann ist mir das lieber als ein Untersuchungsausschuss, wo ich um jede Akte betteln muss.“

Die Grünen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, wo Ende März gewählt wird, hatten gestern einen Trost. Die sachsen-anhaltische Grünen-Spitzenkandidatin Inés Brock sagte zur taz, das Thema Geheimdienste sei „auf Landesebene nicht so wichtig wie etwa Hartz IV“, weil es die Menschen nicht direkt betreffe. Deshalb sei es auch „nicht so bedeutungsvoll im Landtagswahlkampf“. Sie finde die Haltung der Fraktion im Übrigen „sachgerecht und nachvollziehbar“.

U. WINKELMANN, L. WALLRAFF