Mützen, Lethen etc.
: Verhaltenslehren der Kälte

Lieblingsbeschäftigung in der U-Bahn gerade: Mützen gucken bei den MitfahrerInnen. Es gibt ja derzeit nicht nur besonders viele, sondern auch ausgesucht bescheuerte Exemplare zu sehen. Kälte ist immer auch die Lizenz zum Uncoolsein (hübsches Paradox, nebenbei). Ob man sich selbst mit Strickbommeln ins Zwergenhafte ironisiert, ob man mit eng anliegenden Skimützen seine eierhafte Kopfform herausarbeitet – Hauptsache ist doch, die Ohren tun einem nicht so weh. Und beeindruckender als hübsche Hüte sind in diesen Tagen sowieso diese dicken gepolsterten Mützen mit Ohrenwärmern, die man sich auch noch unterm Kinn zusammenbindet.

Welch heitere Vielfalt solche Zusammenkünfte alberner Kopfbedeckungen doch haben können! Und welch Glück, dass die rührigen Deutschland-Werber noch nicht aufgepasst haben. Immer schön warm, immer schön heimelig ist es bei ihnen. Haben die eine Ahnung! Dabei hätte sich ein dick eingepackter Hauptstädter mit Schnurrbart und Pelzmütze doch auch prima als „Du bist Deutschland“-Model gemacht. Zumindest hätte es die Kampagne in puncto Ehrlichkeit aufgewertet. Aber vielleicht hat die Kälte ein zu schlechtes Image. Vielleicht fehlen auch die Vorbilder – deutsche Polarforscher fallen einem im ersten Moment nicht ein und „Du bist Käpt’n Iglo“ wäre wohl nicht der wahre Kracher gewesen. Aber sei es drum. Jedenfalls will das abgekühlte Deutschland gar nicht in die Kampagnen passen.

Oder liegt das an ganz etwas anderem? In dem einschlägigen Buch „Verhaltenslehren der Kälte“ – von dem man sich allerdings keine Kleidungstipps versprechen sollte! – untersucht der Autor Helmut Lethen den Kältekult, der die Intellektuellen unter der Fahne der Neuen Sachlichkeit einst erfasste. Scharfe Analyse von gesellschaftlicher Kälte, nicht Propagierung von wärmendem Gemeinschaftsdenken, das ist hier der Königsweg, um Deutschland zu verstehen. Nun ist es zwar sicher zu kurz gedacht, angesichts des Mützenwetters einen Triumph des kalten Realitätsprinzips über warmes Wir-Denken zu feiern. Aber zwischen zwei U-Bahn-Stationen kann man sich an einem solchen Gedanken ja mal … wärmen.

DIRK KNIPPHALS