Muttersprache gehört in die Schule

Hamburgs frühere Ausländerbeauftragte, Ursula Neumann, spricht sich im taz-Interview gegen eine Deutschpflicht auf dem Schulhof aus

taz: Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) empfiehlt seinen Schulen, in den Pausen nur noch die deutsche Sprache zuzulassen. Sie forschen über Migration und Mehrsprachigkeit. Wäre das der richtige Weg?

Ursula Neumann: Es ist die richtige Zielsetzung, die Kinder anzuspornen, mehr Deutsch zu sprechen und zu lernen. Nur wird dies nicht erreicht, indem wir die Muttersprache der Kinder unterdrücken. Es ist klar, dass eine Zweisprachigkeit bei Kindern erreicht werden kann, und dass die Kinder in ihrem Leben beide Sprachen brauchen. Und es war bisher Ziel der Schule, diese zwei Sprachen zu fördern.

Durch ein Verbot werden aber ganz andere Botschaften transportiert, als Deutsch zu lernen. Es wird signalisiert, dass die Herkunftssprache weniger wert und reine Privatsache sei, die in der Schule keinen Platz hat.

Ein Berliner Schulleiter drängt die Eltern, auch zu Hause Deutsch zu sprechen.

Das ist widersinnig. Einmal hat Schule sich nicht in die Familie einzumischen. Zum anderen kommt es beim Kind darauf an, dass eine Begriffsbildung unterstützt wird. Ein Kind, das in seiner Herkunftssprache weit entwickelt ist, hat auch gute Chancen, Deutsch gut zu lernen. Man sollte Eltern nicht bestärken, schlechtes Deutsch mit ihren Kindern zu sprechen.

Das Wichtige in Familien ist, dass dort Kommunikation und Sprachbildung stattfindet. Außerdem wissen wir aus Hamburger Studien, dass in Familien zweisprachig agiert wird. Wenn man das Deutsch fördern will, dann durch Lernangebote und nicht durch Unterdrückung.

Aber wäre es bei Schulen mit hohem Migrantenanteil nicht sinnvoll, Deutsch als Verkehrssprache durchzusetzen?

Das ist sie ja. Die in Berlin beschriebene Situation haben wir in Hamburg nicht. In den Schulen mit sehr hohem Migrantenanteil gibt es bis zu 30 Sprachen. Dort ist Deutsch die Verkehrssprache. Ich hielte es aber auch dort, wo die Hälfte der Schüler Türkisch spricht, für ein zweifelhaftes Gerechtigkeitsargument, Türkisch zu verbieten, nur weil die anderen keinen Gesprächspartner haben. Es gibt andere Wege, die übrigen Schüler ins Gespräch zu bringen.

Es gibt ein gutes Modell aus England, das dort Lehrer in der Fortbildung lernen. Dort setzen sie die Schüler gleicher Sprache im Kreis nebeneinander und erlauben ihnen, eine Aufgabe zuerst untereinander in ihrer Sprache zu besprechen. Das Ergebnis wird dann in der Klasse auf Englisch vorgetragen. Wichtig sind die kognitiven Prozesse, die sprachlich ablaufen.

Plädieren Sie dafür, die Herkunftssprache im Unterricht zuzulassen?

Ja, und zwar immer dann, wenn der Unterricht individualisiert und in Gruppen abläuft. Man kann auch wie in Schweden die Herkunftssprache in Phasen in Sommerkursen unterrichten.

Tut Hamburg genug, um Mehrsprachigkeit zu fördern?

Hamburg tut relativ viel. Es wurde zwar von der CDU im Schulgesetz der Anspruch auf Förderung der Zweisprachigkeit entfernt, aber die Stellen für diesen Unterricht nicht gestrichen. Wir sollten dies nicht zu einer Glaubensfrage machen. Es ist wichtig, Kinder im Deutschen, in ihrer Herkunftssprache und im kognitiven Wissen zu fördern.

Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) lehnt ebenfalls die Deutschpflicht ab.

Ja, und mit der richtigen Haltung. Wir müssen das Ziel haben, dass die Kinder Deutsch lernen. Aber ein Verbot erhöht die Wahrnehmung von Diskriminierung. Die ethnische Selbstdefinition wird dadurch unterstützt, gerade bei Jugendlichen aus Russland oder der Türkei.

Sie selbst bieten seit Herbst an der Uni Förderkurse für 220 Schüler mit Migrationshintergrund an. Wäre das ein Weg?

Wir bieten Schülern in Deutsch, Englisch und Mathe eine gezielte Förderung des Deutschen als Fachsprache, die diese Schüler brauchen, um ihr Potenzial zu entfalten. Das Projekt wird noch evaluiert. Die Lehrer sagen uns, es hilft sehr.

Interview: Kaija Kutter