Deutschpflicht trifft auf blanke Nerven

Die Empfindlichkeiten in der Integrationsdebatte sind hoch wie nie. Das zeigt der Fall einer Weddinger Realschule. Dort einigten sich Eltern, Lehrer und Schüler, auf dem Schulgelände nur Deutsch zu sprechen. Obwohl von einem Sprachverbot keine Rede ist, reagieren Migrantenvertreter allergisch

„Es gibt großen Frust unter den Migranten, weil die Minderheiten viel einstecken mussten“

VON ALKE WIERTH

Da gibt es in Wedding eine Schule mit hohem Migrantenanteil: 281 der 366 Schülerinnen und Schüler dort haben keinen deutschen Pass. Wie viele der Schüler nicht gut Deutsch sprechen, ist damit lange nicht gesagt: Das können mehr, aber auch weniger sein. Denn auch ein Kind ohne deutsche Staatsangehörigkeit kann gut Deutsch sprechen und umgekehrt.

Doch scheint, wer sein Kind zu dieser Schule schickt, Wert darauf zu legen, dass es die deutsche Sprache gut lernt, denn Deutschunterricht ist ein besonderer Schwerpunkt im Programm der Realschule. Um den Lernerfolg zu verstärken, haben sich Eltern, Schüler und Lehrer überdies darauf geeinigt, dass während der Schulzeit auf dem Schulgelände nur Deutsch gesprochen werden soll. Soll, wohlgemerkt, denn ein ausdrückliches Verbot anderer Sprachen gibt es nicht. Ebenso wenig wie Kontrollen der Einhaltung oder gar Strafen bei Nichteinhalten der Schulregel.

Dennoch sollte der Vereinbarung Nachdruck verliehen werden: Deshalb unterschreiben bei Schuleintritt alle neuen Schülerinnen und Schüler die Hausordnung ihrer Schule, in der unter anderem auch die Übereinkunft über das Deutschsprechen steht. Dies alles ist schon seit eineinhalb Jahren so – und hat bisher niemanden interessiert. Geschweige denn jemandem Schaden zugefügt. Klagen waren jedenfalls bislang nicht zu hören.

Doch nun kam die Sache an die Öffentlichkeit, und das Echo ist enorm. Grundgesetzwidrig sei die Regelung, nationalistisch, von „Sklaventreibermentalität“ ist die Rede und sogar der Vergleich mit dem Verbot der kurdischen Sprache in der Türkei ist zu hören, wenn man sich dieser Tage mit Vertretern der Zuwanderer und ihrer Organisationen unterhält. Sie bewerten die Regelung der Weddinger Schule mehrheitlich als „Muttersprachen-Verbot“, das nicht geduldet werden könne.

Dabei sagt Jutta Steinkamp, die Direktorin der Weddinger Realschule, selber, dass ein reines „Sprachenverbot“ nichts bringen würde: Nur im Zusammenwirken mit dem Unterrichtsschwerpunkt Deutsch sei die Einigung auf Deutsch als Umgangssprache an ihrer Schule sinnvoll. Sie will die Chancen ihrer Schülerinnen und Schüler auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Dass sie nun in der erregten Debatte geradezu als Bösewichtin der Nation dasteht, dass dabei mehr auf Symbolik als auf Sinn geachtet wird – dafür sind die Ursachen anderswo zu suchen.

Denn die Debatte um die als „Muttersprachenverbot“ missverstandene Schulregel fällt in eine erregte Zeit. Der unsägliche Muslim-Test in Baden-Württemberg ist dabei nur das jüngste Glied einer langen Kette von Ereignissen und Diskussionen, die zu der Erhitzung geführt haben. „Es gibt viel Frust auf Seiten der Migranten“, sagt Eren Ünsal, Sprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Man dürfe nicht unterschätzen, wie viele kritische Punkte in der Integrationsdebatte aufeinander gefolgt seien: „Es gibt eine lange Liste von Dingen, die die Minderheiten einstecken mussten.“

Angefangen habe das mit den Diskussionen um das Staatsbürgerschafts- und das Zuwanderungsgesetz. Dazu käme die tendenziell antimuslimische Stimmung seit den Anschlägen in New York, Madrid und London, die jetzt zur Einführung des Muslim-Fragebogens in Baden-Württemberg führte. Auch die beruflich und damit ökonomisch ausweglos schlechte Lage vieler Migranten und die Einschnitte durch Hartz IV bestärkten, so Ünsal, viele Zuwanderer in dem Gefühl, ausgegrenzt und diskriminiert zu werden, von der Mehrheitsgesellschaft unerwünscht zu sein. Da werde eine Regelung wie die an der Weddinger Schule zum Zündfunken: „Denn wir sitzen auf einem Pulverfass, und wenn die Dinge so weiter laufen, dann könnte das irgendwann explodieren.“

Auch Ahmet Iyidirli, der bei der letzten Bundestagswahl als SPD-Kandidat in Friedrichshain-Kreuzberg antrat, hält „Sprachverbotsregelungen“ für einen „gefährlichen Beschluss“. „Das ist gefährlich, weil es eine Mentalität widerspiegelt, die gefährlich ist“, sagt der sozialdemokratische Bildungspolitiker. „Ich will auch, dass Migrantenkinder besser Deutsch lernen. 90 Prozent der Berliner Türken wollen das.“ Aber die Vertreter von Verboten wollten nur Druck ausüben, meint Iyidirli: „Sie wollen mit den Leuten nicht kommunizieren. Sie sagen bloß: Wir finden das richtig, und deshalb wird das jetzt so praktiziert.“

Dem, was an der Weddinger Schule tatsächlich Sache ist, wird dabei kaum Aufmerksamkeit gezollt. Darf man der Darstellung von Direktorin Jutta Steinkamp und einiger Schüler der Hoover-Realschule Glauben schenken, dann ist der Abstimmungsprozess über die Vereinbarung geradezu vorbildlich demokratisch gelaufen. Bevor die Schulversammlung aus Vertretern von Eltern, Lehrern und Schülern über die Deutschklausel entschieden habe, sei in allen Klassen der Schule darüber diskutiert und abgestimmt worden. Nur 2 von 14 Klassen hätten sich damals dagegen ausgesprochen.

Schüler- und Elternvertreter verteidigen ihre Schulregel bis heute. Glaubt man Direktorin Steinkamp, dann hat die Regelung an ihrer Schule deren Beliebtheit noch gesteigert: Gerade Familien mit Migrationshintergrund meldeten ihre Kinder gerne dort an. Dass sie das als Erfolg wertet, spricht für sie. Denn es gibt viele Schulen in Berlin, die in einem wachsenden Anteil migrantischer Kinder keine besondere Auszeichnung sehen.

Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, hat sich nun immerhin entschlossen, mit Jutta Steinkamp zu reden. Es könne „sinnvoll sein, wenn Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen sich gemeinsam darauf verständigen, an ihrer Schule auch in den Pausen nur Deutsch zu sprechen“, hieß es in seiner jüngsten Presseerklärung. Das Ziel, die Deutschkenntnisse der Kinder zu fördern, sei richtig. „Die Methode der Schule ist aber falsch.“

Mutlu hatte die Regelung jüngst publik gemacht. „Ein besorgtes Elternpaar“ habe ihm die Schulordnung mit der umstrittenen Regelung gezeigt, sagt der Grüne. Ihren Namen hätten die Eltern aus Angst vor Repressalien von Seiten der Schule nicht angeben wollen. Und die Direktorin habe ein klärendes Telefongespräch mit ihm zunächst verweigert. Immerhin diese Kommunikationsstörung wird also demnächst behoben werden.