Die Grenzen der Kritik
: KOMMENTAR VON DANIEL BAX

Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt schwer, insbesondere in Deutschland. Hier hat dieser Vorwurf nun zu einem kuriosen Rechtsstreit geführt. Der Publizist Henryk M. Broder hat nämlich einen jüdischen Verleger, dessen Meinungen über Israel er nicht teilt, des Antisemitismus geziehen.

Dass ein Jude einem anderen Juden Antisemitismus vorwirft, ist so neu nicht; im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt ist dies geradezu inflationär geworden. Linke Juden werden gerne damit bedacht, wenn sie sich zu kritisch über Israel äußern. Daniel Barenboim etwa musste sich vonseiten der israelischen Regierung diesen Vorwurf gefallen lassen, als er im vergangenen Jahr ein Konzert in Ramallah gab und dort einem Reporter eines israelischen Armeesenders kein Interview geben wollte. Und auch dem Regisseur Steven Spielberg wurde in den USA von rechten jüdischen Publizisten dieser Vorwurf gemacht, weil sein neuer Film „München“ zu sehr am israelischen Selbstbild kratzt.

Nun kann sich natürlich auch ein Jude antisemitische Positionen zu Eigen machen; genauso wie ein Türke oder Afrikaner rassistische Positionen vertreten kann. Aber ab wann die Kritik an Israel in antisemitisches Ressentiment umkippt, ist häufig eine Frage der politischen Haltung oder des Kontexts, in dem eine Äußerung steht. Ein Gericht dürfte nur schwer in der Lage sein, darüber objektiv zu befinden.

Ein Autor des Verlegers, mit dem Broder im Streit liegt, hat die israelische Politik mit dem nationalsozialistischen Rassenwahn verglichen. Man kann so einen Vergleich mit gutem Grund geschmacklos oder auch antisemitisch nennen. Henryk M. Broder hat sich für Letzteres entschieden und den Verleger als „Kapazität für angewandte Judäophobie“ bezeichnet.

Das Frankfurter Landgericht musste nun darüber befinden, ob Broder damit die Grenze zur beleidigenden Schmähkritik überschritten hat. Statt sich im Zweifel für die Meinungsfreiheit zu entscheiden, hat es dem Autor nun leider diese und ähnliche Formulierungen untersagt. Der Streit über die Grenzen der Israelkritik – und der Kritik an dieser Kritik – ist damit keinen Schritt weitergekommen.

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