Irak, das Land der Hoffnung?

Viele Kurden, die jetzt aus Deutschland nach Erbil heimkehren, versuchen zu beschwichtigen: Dies sei ein Ort des Aufschwungs, nicht der Gefahr

Der erste Deutschkurs für Rückkehrer war so schnell ausgebucht, dass jetzt schon weitere geplant sind

AUS ERBIL INGA ROGG

Aus der Ferne betrachtet scheint die Analyse eindeutig: Innerhalb von zwei Monaten wurden drei Deutsche im Irak entführt. Das Risiko, in die Hand von Kidnappern zu fallen, ist extrem hoch. Nur noch lebensmüde Abenteurer oder geistig Verwirrte bleiben angesichts dieser Gefahr im Irak.

Vor Ort in Erbil aber ist Siegfried Martsch anderer Meinung. „Ich bin kein Verrückter“, sagt Martsch. Eben hat er zusammen mit dem Bürgermeister von Erbil, Nihat Qoja, das Deutsche Kulturinstitut eröffnet. Mit einem deutschen Clubabend will man in zwei Wochen den Einstand feiern. Regelmäßige Filmabende sind geplant, der Aufbau einer kleinen Bibliothek mit deutschsprachigen Zeitungen und Büchern, zudem Konzertabende, Lesungen und Diskussionen.

Ein Kulturinstitut in Zeiten von Krieg, Bombenanschlägen und Entführungen, das klingt waghalsig. Martsch widerspricht vehement. Kurdistan sei nicht der Irak, das werde in Deutschland gerne vergessen.

„Natürlich ist Kurdistan keine Insel der Glückseligen“, sagt der Grünen-Politiker. „Aber Erbil ist sicherer als London oder Madrid und auf jeden Fall weniger gefährlich als Moskau.“ Bombenanschläge gab es in der kurdischen Hauptstadt bisher nur wenige, Entführungen von Ausländern bisher überhaupt keine. Auch den jüngsten Entführungsfall sieht er nicht als Anlass, seine Meinung zu ändern.

Die Besorgnis, dass das Ansehen der Deutschen im Irak gelitten hat, weil Susanne Osthoff zeitweise für den BND gearbeitet haben soll oder BND-Mitarbeiter während des Kriegs mit den Amerikanern zusammengearbeitet hatten, teilen Martsch und seine kurdischen Freunde nicht. Zumindest für Kurdistan gälten all diese Bedenken nicht, sagt Martsch. „Die Missstimmung in Deutschland ist völlig übertrieben“, meint Martsch. Sie sei sogar schädlich: „Kurdistan braucht deutsche Hilfe mehr denn je.“ Deshalb habe man gerade jetzt das Deutsche Kulturinstitut eröffnet, das auch als Brücke zu deutschen Wirtschaft fungieren will.

Seit Jahren setzt sich der Expolitiker, der in Nordrhein-Westfalen dem Landtag angehörte, für die kurdische Sache ein. Seine Nähe zum Präsidenten Kurdistans, Masud Barsani, hat ihm den Spitznamen Sigi Barsani eingebracht. Der 60-Jährige zeigt sich auch in kurdischer Guerillakleidung.

Am Dienstagabend hat er 5 Deutsche und 15 Kurden im Büro seiner Firma „Martsch International Erbil – German Businesscenter“ zur Eröffnung des Kulturinstituts versammelt. Die Gruppe wirkt wie eine kleine, verschworene Gemeinde, die sich untereinander beinahe trotzig immer wieder dasselbe versichert: „Kurdistan ist sicher.“ Zur Feier gekommen ist auch ein deutscher Geschäftsmann aus Hamburg, der gerade für ein großes Unternehmen eine lokale Vertretung aufbaut. Seinen Namen will er aber nicht nennen. Auch seine genaue Tätigkeit solle die Reporterin bloß verschweigen, sagt der Mann mit dem grauen Bürstenhaarschnitt.

Eigentlich hätte die Eröffnung ein weit größeres Ereignis sein sollen. Doch mehrere Firmen, die Delegationen nach Kurdistan entsenden wollten, haben ihre Reise nach den Warnungen der Bundesregierung abgesagt. „Dabei kann man hier gute Geschäfte machen“, sagt der Mann aus Hamburg.

So sieht es auch Jaf Ali, der mit vier Jahren nach Bonn kam, wo er heute eine Boutique betreibt. „Ich liebe Deutschland“, sagt Ali. Doch die Lage im deutschen Textileinzelhandel ist schlecht. Ali rechnet auch nicht mit einer Besserung. Seine Chance sucht er jetzt in Kurdistan. Er will mit einem großen Industrieunternehmen in den hiesigen Markt einsteigen. „Vielleicht etwas im Lebensmittelsektor“ sagt Ali.

Für viele Flüchtlinge, die vor der Verfolgung durch das Saddam-Regime nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz flohen, ist Kurdistan zu einem Land der Hoffnungen geworden. Auch Nihat Qoja, der Bürgermeister von Erbil, ist vor zwei Jahren zurückgekehrt. 23 Jahre lang hat er in Bonn gelebt. Zeitweise hat er Geschichte studiert. Gerade weil er die Nazi-Vergangenheit seines zweiten Heimatlandes gut kennt, kann er die Zurückhaltung der Bundesregierung gegenüber den Kurden überhaupt nicht verstehen. „Deutschland weiß doch, was die Befreiung von einer Diktatur bedeutet“, sagt der 49-Jährige. Deshalb sollte die Bundesregierung die Kurden unterstützen.

Der engagierte Bürgermeister würde gerne ein deutsch-kurdische Schule gründen. Denn daraus könnte wie in anderen Ländern eine gut gebildete Elite hervorgehen, die Kooperationen mit deutschen Firmen suchen und organisieren könne. „Vorläufig können wir das aber vergessen“, sagt Nihat Qoja. Deshalb setzt man beim deutschen Kulturinstitut auf Sprachkurse für Rückkehrer. Der erste Kurs, der nächste Woche beginnen soll, war so schnell ausgebucht, dass bereits weitere geplant sind.

„Unsere Sicherheitskräfte haben die Lage unter Kontrolle“, sagt der smarte Politiker. „Hier ist nicht Arabien“, fährt er in Anspielung auf die sunnitischen Gebiete fort. „Das müssen die Deutschen endlich verstehen.“