Wahlkampf im Schatten des Rücktritts

Zwei Monate vor der Landtagswahl muss Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger um seinen Modernisierungskurs bangen. Nach der überraschenden Demission des Sozialministers triumphiert der ländlich-konservative Parteiflügel

AUS OFFENBURG HEIDE PLATEN

Ein furioser Wahlkampfauftakt hatte er sein sollen, der 53. Landesparteitag der baden-württembergischen CDU. Alles neu, alles orange, alles frisch: „In der Tat besser“. Doch dann wurde der Kongress zur Plattform eines bislang verdeckten Stellungskrieges innerhalb der Südwest-Union. Ministerpräsident Günther Oettinger, Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 26. März, musste sich am Samstag auf dem Messegelände im badischen Offenburg vor allem Fragen nach dem Rücktritt seines Sozialministers Andreas Renner gefallen lassen.

Gerade eine Nacht hatte Oettinger Zeit gehabt, sich mit dem überraschende Abgang auseinander zu setzen. Renner galt als Mann Oettingers. Er sollte repräsentieren, was der Ministerpräsident als Modernisierung der Union verstanden wissen wollte. Renner galt seit dem Amtsantritt im Sommer 2005 beim ländlich-konservativen Flügel der Partei als Stein des Anstoßes, bei urbanen Christdemokraten dagegen als Hoffnungsträger.

In der Halle formierten sich an den kleinen Stehtischen die Fronten. „Völlig down“, „tief erschüttert und enttäuscht“ waren die einen, andere freuten sich: „Der ist weg mit Schaden.“ Renner hatte es seinen Feinden leicht gemacht. Als eine seiner ersten Amtshandlungen übernahm der Minister mit dem Brillantknopf im Ohr vorigen Sommer die Schirmherrschaft über die Stuttgarter Schwulen- und Lesbenparade zum Christopher Street Day.

Ausgerechnet wenige Tage vor dem Parteitag fand eine Äußerung Renners ihren Weg an die Öffentlichkeit, die vor einem halben Jahr in einem internen Gespräch mit dem als besonders reaktionär geltenden Bischof von Rottenburg, Gebhard Fürst, gefallen sein soll. „Halten Sie sich da raus. Fangen Sie doch erst einmal damit an, Kinder zu zeugen“, habe er den Kirchenmann angeraunzt. Renner bestritt das. Er habe nur den Zölibat kritisiert.

Von Amtsniederlegung war am Freitagnachmittag noch nicht die Rede. Da stand Oettinger seinem Freund zur Seite, als dieser seinen „Gang nach Canossa“ in die Stuttgarter Bischofsresidenz Stella Maris antrat. Der Kirchenmann habe die Entschuldigung angenommen, sagte Oettinger hinterher. Warum Renner zwei Stunden später dennoch aufgab, blieb im Unklaren.

Dass ausgerechnet zwei Vertraute des mächtigen Landtags-Fraktionsvorsitzenden Stefan Mappus den Sozialminister öffentlich zum Rücktritt drängten, ließ Raum für Spekulationen über die innere Zerrissenheit der Partei. Viele Delegierte fürchteten ein neues Aufflammen der Kämpfe zwischen den Modernisierern um Oettinger und der Gefolgschaft des alten, nicht ganz freiwillig in den vorzeitigen Ruhestand gegangenen Landesvaters Erwin Teufel. Mappus unterstützte 2004 die Kampfkandidatur von Teufels Favoritin, der heutigen Bundesbildungsministerin Annette Schavan, gegen Oettinger.

Der Ministerpräsident nahm auf dem Parteitag nur kurz zu Renners Abgang Stellung. Es sei „ungehörig“ gewesen, sich „in die inneren Angelegenheiten“ der katholischen Kirche einzumischen. Bischof Fürst habe die Entschuldigung akzeptiert. Oettinger dankte Renner für seinen „davon losgelösten“ Rücktritt und benannte als Nachfolgerin die bisherige Staatssekretätin Monika Stolz (CDU).

Ansonsten präsentierte Oettinger das Parteiprogramm so hölzern wie gewohnt. Längere Laufzeit für Atomkraftwerke, der heftig kritisierte Gesprächsleitfaden für die Einbürgerung von Muslimen bleibt, Wirtschafts- und Verkehrspolitik haben Vorrang.

Nur einmal in seinem mehr als einstündigen Vortrag lächelte er fast und streifte bei der Vorstellung seines Lieblingsprojektes, Baden-Württemberg als „Kinderland“, die Grenzen der unfreiwilligen Komik. „Wir müssen alles tun, dass es mehr Kinder gibt!“, rief er, „im Haupt- und im Ehrenamt.“ Und fügte hinzu: „Machen wir alle mit!“