SUSANNE LANG über DIE ANDEREN
: Herr Hahne, wir müssen reden!

Neue Nüchternheit mit alten Werten – das hatte Peter Hahne prophezeit. Nun ist sie da. Aber wohin soll sie führen?

Nüchtern also. Alle total ernüchtert. Bei mir dauerte es ein wenig länger. Vielleicht war der Rausch zu schlecht. Vielleicht die Nüchternheit zu anstrengend. Wie nach jedem Höhenflug malt nun der Kater den Schmerz in die Welt. Wann war der Urknall? Und warum? Wer schuf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und wozu? Was war am Anfang? Und wer? So Fragen halt. Sie bohrten. Leider wollte Gott nicht antworten. Auch nüchtern nicht. Dafür gibt es ihn. Den Propheten von Berlin (ehemals Bonn). Kanzler Kohls Bub. Peter Hahne. Ich schrieb ihm eine E-Mail.

„Eine tolle Idee“, schrieb er zurück. „Für Sie mache ich das gerne, weil ich aus vielen Resonanzen entnehme, dass sich mir ganz neue Leserschichten erschließen, wenn ich in der taz glossiert werde.“ Peter Hahne, stellvertretender Hauptstadtstudioleiter des ZDF, im „Rund-um-die Uhr-Einsatz“ („Muss ins AA wegen Entführung, Ihr Peter Hahne“). 53 Jahre alt. Seit über 30 Jahren im Reporterdienst.

Glossieren – damit fing das Unglück an. Als die Gegenseite das Spiel der Ironie verstanden hatte, übernahm sie die Regeln und kehrte es um. Jede noch so bittersüße Kritik (Hahne-Top-Charts: „Pfannkuchen“, „Wanderprediger“, „Regierungssprecher“) gilt jetzt als Marketing-Scoop. Goldene Regel: News are good news! Die Adelung heißt Selbstironie. Unangreifbar im Wahnsinn.

„Herr Hahne, ich will Sie nicht glossieren“, erklärte ich, als er mir gegenübersaß, bei Kaffee und frisch gepressten Orangenvitaminen. Mitten im Hauptstadtwohnzimmer von JournalistInnen und PolitikerInnnen, dem Café Einstein unter den Linden. „Ich meine es ernst“. Er lächelte. Freundlich. Höflich. Zuvorkommend. Etikette, wie sie sich wieder ziemt.

Er habe das ja als Erster heraufbeschworen, 2004 mit dem Werk „Schluss mit lustig“ – als Erster, darauf legt er Wert, vor allem, weil es nun alle nachdruckten, die es kritisiert hätten. Der Stern habe sogar daraus geklaut beim Titel: „Das neue alte Wertebewusstsein“. Copyright: Peter Hahne. Ja, es war ernst. Er sagte „auch gut“.

„Ihre Rede von der ‚Bundeskanzlerin‘ am Wahlabend, bei einem Ergebnis, das alles offen ließ – wie kann das einem politischen Journalisten passieren?“ Er lächelte. „Da muss man aber die Fakten kennen“, belehrte er, „ich sagte‚ da kommt die erste Bundeskanzlerin, die es werden wollte.“ Daran sei nichts voreingenommen. Die Deklaration der neuen Bundeskanzlerin in den Medien, noch bevor ein Stimmzettel abgegeben wurde? „Das ist doch allen passiert, egal ob links oder rechts – wir sind der Umfrage-Euphorie aufgesessen.“ Er lächelte. „Das habe ich abgehakt.“ Er blickte mich an. Erwartungsfroh. Gespannt auf das interessantere Thema. Er setzte es selbst. „Ich war ein großer Gegner der großen Koalition, aber mittlerweile glaube ich, dass sie für diese Phase richtig ist – darum geht es doch jetzt.“ Das war also die Botschaft: nach vorne schauen. Wir. Alle. Leider warten da vorne erst Recht Fragen. Wenn ich es nüchtern betrachtete.

„In welcher Phase sind wir denn, Herr Hahne?“ „Entideologisierung!“, sagte er bestimmt, nicht ohne Genugtuung. Diesen ganzen Ballast, über 40 Jahre ideologische Kämpfe, jetzt rede man miteinander. Vor allem die jungen Abgeordneten. Das sei der Lichtblick. „Wertebewusstsein ist keine Domäne der Konservativen mehr, ich habe jetzt völlig neue Bündnispartner.“

Er lächelte. Wieder? Immer noch? Er winkte hinüber zum Ecktisch und grüßte Katrin-Göring Eckart, die wie es der Zufall so wollte, an jenem Mittag auch Kaffeehauspolitik machte. Daraufhin nickte er Renate Künast ein lächelndes Hallo zu, die wie es genau dieser Zufall wollte, gerade das Kaffeehaus verließ. „Schwarz-Grün, das ist eine Option.“ Abgleich der Machtoberflächen. In vier Jahren sollen sie kompatibel sein. Bis dahin kreisen alle in der Warteschleife.

Muss man nicht die Inhalte genau dieser alten Werte neu verhandeln? „Vielleicht“, sagte er und lächelte. „Aber darüber könnten wir jetzt lange reden!“ Wir ließen es sein. Einigten uns auf die Rechnung. Der Herr zahlt. Selbstverständlich. Herzlichst.

Fragen an Herrn Hahne? kolumne@taz.de Morgen: Michael Streck BACK HOME