die taz vor zehn Jahren über die peinlichkeit, mütter als peinlich zu diffamieren
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„Total unprofessionell“, lästerte einer meiner taz-Kollegen, als ich in einem Artikel die Schmetterlingsjagd meines Sohnes beschrieb. Der Kollege glaubte mir den journalistischen Grundsatz beibringen zu müssen, daß die eigene Person hintenan zu stehen habe. Ich hatte aber gar nicht von mir geredet. Hätte ich über meinen Hund geschrieben, hätte er das normal gefunden. Seltsam: Unsere Texte über mißbrauchte Kinder oder geschlagene Mütter finden reißenden Absatz, aber wehe, wir erwähnen unser eigenes Kind. Das Reden über Mutterschaft wird als peinlich empfunden.

Auch Nadja Klinger hat vor kurzem diese Erfahrung gemacht. Für ihre „Schlagloch“-Kolumne mit dem schönen Titel „Kinder lenken uns ab – auf das Wesentliche“ (taz vom 3. 1. 96) erntete sie zwar viel Lob, aber auch viel Kritik. Manche, darunter überdurchschnittlich viele Frauen, darunter auch ich, zeigten sich sehr berührt davon, wie sie ihre Empfindungen während und nach der Geburt ihres Kindes beschrieb. Andere aber, mehrheitlich Männer, empfanden diese Beschreibung als peinlich, larmoyant und unverständlich. Über so etwas spricht man(n) nicht.

Und: Wer es wagt, von seinem „Ausstieg“ zu sprechen, wie Nadja Klinger, riskiert, nicht ernst genommen zu werden. In unserer Gesellschaft gilt: Mütter sind unpolitisch. Mütter sind lieb, aber ein bißchen doof. Mütter riechen nach Käseauflauf und Stinkesocken. Mütter sitzen im Kreis und reden über Babyblähbäuche. Mütter sind betuliche, nervige, überbesorgte Wesen, die man im besten Fall milde belächeln sollte.

Die leib- und lustfeindliche Tradition des Christentum hat dafür gesorgt, daß eine Geburt als unrein gilt, als Sauerei, als Blut- und Schlammschlacht. Am Anfang war das Wort und nicht die Mutter. Wir alle sind Kopfgeburten des heiligen Zeitgeistes. Mütter gelten deshalb als so doof, weil sie weder daran noch an die Marktgesetze glauben.

Ute Scheub, taz, 30. 1. 1996